Dampflok Siebenbürgen Fotos, Zeichnungen und Erlebnisberichte vom Künstler Arnold Müll
Dampflok SiebenbürgenFotos, Zeichnungen und Erlebnisberichte vom Künstler Arnold Müll

Ein Zug fährt in´s Gebirge (Juli/Aug.1961)
Strecke: Kronstadt- Predealpass- Bukarest

Beihnahe fluchtartig verließen wir mit unserem Wagen an einem Spät- nachmittag  das brühtendheiße Bukarest. Wir hatten genug von dieser unerträglichen Hitze und dem schmerzenden Licht dieses ewig-weißen Himmels. Die im Norden während der schweißtreibenden Fahrt wie eine Fata Morgana in wabbernder  Glut blassblau auftauchenden Karpatenhöhenzüge, erweckten in uns die begehrliche Hoffnung auf endlichen Abkühlung. Nur raschheraus aus diesem qualvollen Treibhaus, schnell hinauf in jene erfrischendkühlen Höhen, wo man wieder normal zu denken beginnt. Nein, Tieflandbewohner waren wir nun einmal nicht, diese brutalen Hitzegrade brachten uns etliche Male aus dem Gleichgewicht. Eine enorme Wärmewoge, die nun bereits wochenlang über Stadt und Land verharrte, ist nicht jedermanns Sache und sie vertreibt auch die Bukarester wie ein fliegendes Volk, entweder hinauf in die  Berge oder geradewegs in die Wogen des Schwarzen Meeres. In diese Zeit fällt auch der Beginn der Sommerferien und es ist nicht verwunderlich, wenn die Züge nach Nord, Süd oder Ost prallvoll und das trotz Platzkartenzwang (bei Schnellzügen) gefüllt sind. Aber auf der Straße und auf dem uns begleitenden Schienenstrang kein Verkehr, als würde diese Sonnenglut buchstäblich alle sich bewegende lähmen und zum Stillstand bringen, was in der Tat für alles Lebende auch in hohem Maße zutrifft. Vor Cimpina, dem Eingang ins Bergland, erblickten wir den ersten Zug. Eine 4-zyl. Maffei-Pazifik stob mit roten, weißumrandeten Rädern und ölig blinkenden Speichen- und Gestängwirbel, rauchlos und ohne Dampffahne an uns vorrüber, Richtung Ploesti.

Der Zug war voll, sicher alles Schwarzmeerurlauber. Cimpina war auch Stationierungsort mit großem Lokdepot für Gebirgs- und Flachland- Dampflokomotiven. Die Maffei- Pazifik- Renner kamen mit ihren Schnellzügen bis hierher. Diese wurden dann von den Henschel G8-2, den berühmt gewordenen Gebirgsmaschinen übernommen, um sie über den Predealpass nach Kronstadt zu befördern (bis um 1945). Es wuchsen dann langsam die Hügel zu Bergen und die Sonne neigte sich tiefer um schließlich hinter violettblauen Schattenkämmen zu versinken. Dämmerung und Kühle senkten sich wohltuend über Täler und Höhen und wir atmeten auf nun der Hitze endlich entronnen zu sein. Im schon starken Zwielicht durchkurvten wir die Gebirgsstraße und bei Dunkelheit wurde der höchste Punkt dieser Fahrt erreicht. Wir befanden uns auf dem Predealpass, rund 1000 m höher als das heiße Bukarest. Nach dem brütenden Odem da unten, nun diese herzerfrischende Luft hier oben. Ausgestiegen, holten wir tiefe Atemzüge, vertraten uns ausgiebig die Beine und wir kamen uns vor wie auf dem "Dach der Welt". In Nah und Fern Stille und Einsamkeit und rundum hohe Berge. Einer davon felsig, wild und über 2500 m, der Butschetsch genannt. Sie alle stiegen in einen von flimmernden Sternen übersähten Nachthimmel. Hinter dem Bahnhof Predeal neigte sich die Straße in Windungen und Kehren in das waldreiche enge Tal des Obertömösch (Timisul de sus). Wir verließen den uns rechter Hand begleitenden Schienenstrang, der sich einem kurzen und einem ca. 1000 m langen Kehrtunnel (für jedes Gleis einen), einer 360° Kurve und einem weit ausholenden Gleisbogen ebenfalls in das Tal des Tömesch- flußes hinabsenkt. Und von hier oben, noch über dem Wald, hörten wir zum erstenmal durch die Nacht ein großes Dampflokspektakel.

Aus unsichtbarer Tiefe drang ein rumorendes, unregelmäßiges Dampfgedröhn, ein rhytmisches Durcheinander von Auspuff- schlägen, vermutlich von mehreren Dampflokomotiven. Da arbeitete sich in der Tat aus dem Talhintergrund ein schwerer Zug nach oben. Mein Herz begann höher zu schlagen, da stand uns ja ein aufregendes Ereignis bevor und welch ein glücklicher Zufall, eine solche "Bergfahrt" einmal von "draußen" und noch bei Nacht zu erleben. Noch war in diesem ungewissen Licht, einer von Sterngefunkel vage erhellten Nacht, nichts zu erkennen. Dafür stieg in diese erhabene Bergstille ein Konzert an unsere Ohren, das nicht nur für Tonbandjäger ein Fest -die absolute "Spitze" bedeutet hätte- nein,dieses Erlebnis war in jeder Hinsicht einmalig- fürwahr, diese "Predeal- Dampflok- Sinfonie" ließ sich hören und suchte ihresgleichen. Donnernde Auspuffschläge im vorderen und auch im hinteren Tömöschgrund, vielfach sich überschlagend und überlagernd im knallenden und hallenden Widerhall steiler Waldkulissen. Ich zu meinem Steurmann: Schnell weiter hinab, näher an den Zug, bevor uns dieser im Wald ganz entschwindet! Welch ein orgelndes Rumoren, ein pfeifendes Zischen, saugend-hohlklingendes Fauchen näherte sich da im Dunkeln! Eine hinter- und untergründige Geräuschtonskala, ein Maschinenkonzert mit skurillen Untertönen eines Dampflockorchesters, das nur mehrere Maschinen gemeinsam in härtester Arbeit zustande bringen. Und mitten hinein in dieses takt- und technisch gesetzmäßig sich abspielende Dampfgetobe, fegten in Intervallen alles übertönende, hinausgeheulte Vieltonsirenenjauler, die diesem Donnertanz des Dampfes das Kommando übernahmen und die dann programmgemäß als melodisch verklärte Echos widerhalten.

Diese sterndurchfunkelnde (nun unterbrochene) Nachteinsamkeit, die Umstände in denen wir hier oben nun standen und diese urige, nur in Umrissen erkennbare Landschaft starrten und hinablauschten,auf etwas in dieser Art "Nochnichtgehörtes", dieses alles war geeignet und trug dazu bei, unsere geweckte Phantasie in`s Unwirkliche zu steigern. Es bedurfte keines Anstoßes mehr, um aus diesem sich emporkämpfenden Zuge, einen Geisterzug entstehen zu lassen, in dem womöglich der gefürchtete Graf Dracula, der einst in diesen Karpatenurwäldern sein Unwesen trieb, sich nun als Lokführer präsentierte, um die ganze Umwelt auf´s neue in dämonische Schreckenschauer zu versetzen.Wir  fuhren ein Stück weiter, hin zur Kurve, dort tat sich eine schummerige Waldlichtung auf. Schon schimmerte Dampf durch dichten Tann- und im Bogen hinaus, schoben sich nacheinander drei Silhouetten, dampfumwallt in unser nur begrenztes Blickfeld, über denen drei tosendflatternde Dampfsäulen, hellleuchtend gegen Wald und Himmel standen. Hinter Baumstämmen und einem Ästevorhang glitten langsam diese fauchend- brüllenden Ungeheuer aus unserem Gesichtskreis und das dreifache Dampfgedröhn tauchte unter in Waldestiefen. Dampfgewölk wälzte sich träge über die Wipfel und die Lichter eines nachfolgenden Fensterbandes verschwanden ebenfalls im Waldesinnern. Und nochmals wuchtete ein Gestampfe heran, wuchs zum brüllenden Stakkato- eine Schublock bildete den Abschluß dieses langen Nachtzuges. Rauch- und Dampfschleier schwebten im rotverglühenden Schein vorbei! Wir schauten noch lange hinterher und dachten gemeinsam: In der Tat -wie ein Geisterzug! Und das sich entfernende Rumoren bohrte sich weiter durch Nacht und Finsternis.

Dann begann es in der Waldesschlucht und über der sich hinaufwindenden Bahnrampe wieder zu dröhnen, wurden beide zum Resonanzboden der vier sich mit ihrem Zug,emporarbeitenden Maschinen. Aus der Höhe drang nun schon entfernt aufjaulendes Heulen- es echote- schwang sich herab und verhallte in den Wäldern des Tömöschgrundes. Die  Dampflokomotiven verkündeten soeben die Einfahrt in den Kehrtunnel. Wir Ausgestiegenen standen nun und lauschten zu jenen Höhen, wo der Zug verstummte. Dann war Stille- eine körperhaft wirkende Stille, gepaart mit einem hilflos verlorenen Einsamkeitsgefühl. Verschluckt war der Spuk, der wilde Lärm der Dampfloks. Und wieder waren unsere Gedanken unterwegs, die das Jetzt und das Hier mit längst Vergangenem verknüpfte. Kein Wunder: Über diesen nächtlichen Wäldern, in denen noch der große, schwarze Karpatenbär,auf rumänisch "urs" genannt, haust, sich aber in unzugängliche Waldes- und Felsklüfte zurückgezogen hat, hing etwas Unbestimmtes, Unsicheres, erblickten wir doch außer unserer Straße keine Wege und Stege die auf bewohnte Hütten hindeuteten. Obwohl wir sicher waren, daß Dracula längst tot ist, waren wir doch irgendwie verwirrt und nachdenklich, starrten wir in dunkelkühle Wälder und horchten etwas beklommen auf den Pulsschlag der Natur. Übermächtig legte sich der magisch- geheimnisvolle Zauber dieser Urlandschaft auf Brust und Seele. Müde von diesem Tag und den für uns nicht alltäglichen Eindrücken, wollten wir uns nun doch aus dem Bann dieser Karpatenlandschaft losreißen, von diesen ewigen Wäldern, die voller Geheimnisse sind und in denen sich so manche Tragödie abspielt, über die sich aber oft der Mantel des großen Schweigens breitet. Dann wehte wieder Dampflokmusik zu uns herab, gleichsam direkt vom Himmel gesandt, aber nun schon in atmosphärisch verklärt melodischen Tönen.

Ein wohlklingender Sirenenjauler verkündete das Passieren des zweiten, kurzen Tunnels. Ein wunderbares Echo hallte und verhallte in mehrfachen Waldesgründen. Nur noch wenige Minuten und der Zug hatte die Passhöhe und mit ihr die Station Predeal erreicht. Die Auspuffschläge, das Tosen des Dampfes verstummten, das Konzert war zu Ende, wir fühlten uns wieder einsam und allein. Ein Frösteln lief uns über den Rücken. Schnell bestiegen wir unsern Wagen und fuhren talabwärts Kronstadt entgegen. Nun, von den urigen Wäldern der Karpaten entlassen, über denen die Sterne so erregt für uns funkelten und in denen gewaltige Dampflokomotiven mit ihren schweren Zügen im donnerndem Takt die Nächte erfüllen, waren wir zurückgekehrt in das alt- ehrwürdige, und geschichtsträchtige Kronstadt. Ihre Mauern, deren Geruch vieler Jahrhunderte noch anhaftet- sie hatten uns wieder aufgenommen. Ein Tag wie dieser, mit klimatisch- geografisch und zeitlich so hart aufeinander stoßenden Gegensätzen, hinterließ merkliche Spuren. Müde und vollkommen abgespannt sanken wir in unsere Betten. Doch in den unruhigen Tiefen des Schlafes fuhren fauchende Nachtzüge mit glühenden Augen durch finstere Wälder. Sie wurden von teuflisch- jaulendem Gelächter einer wild tanzenden Geisterschar begleitet. Himmlische Sirenenklänge entließen mich schließlich in einen heitererquickenden Schlaf.
Anmerkungen: Diese Gebirgsstrecke, eine der schönsten und interessantesten Rumäniens, auf der außer Güter- Personen- und Schnellzügen auch vier internationale Expresszugpaare verkehren, ist seit 1968 elektrifiziert. Die Steilstrecke von Untertömösch (750 m) bis Passhöhe Predeal (1015 m) ist 15 km lang, der Höhenunterschied beider Orte beträgt 265 m, die größte Steigung 20 bis 25 °.

Auf ihr befinden sich im oberen Teil der alte und seit Ausbau des zweiten Gleises der zweite, neue Parallel- Kehrtunnel, 937 m lang, ihm folgt ein zweiter mit 106 m Länge. Der in unserer Geschichte beschriebene Dampfzug hatte folgende Traktion: An der Zugspitze eine Lokomotive der Baureihe 150 (1E), die zwei folgenden entstammen der 142-er Baureihe (1D2), sie war zuletzt stärkste Schnellzuglok Europas mit einem Lokdienstgewicht von 124 t. Am Zugende (Schublok) befand sich ebenfalls eine Dampflok der 150-er Baureihe. Mann kann sich lebhaft vorstellen, daß hier im Tömöschtal etwas "fällig" war, wenn die zumeist langen und schweren Züge mit 2 bis 4-facher Traktion zum Pass befördert wurden. Bedauerlich ist, daß dieses einstige Dampflokparadies für Bild- und Tonaufnahmen so gut wie unbekannt geblieben ist. Nun ist die "Predeal- Dampfloksinfonie" dort für immer verklungen, ein für Eisenbahnfreunde unschätzbarer Verlust. Vor dem Einsatz obengenannter Dampflokomotiven, wurde der Predealpass in 2 bis 4-facher Bespannung mit der 1D,G8-2 von Henschel befahren. Diese Dampflok wurde dort unter dem Namen "Predeal-Gebirgsmaschine" sehr populär, sie wurde wahrscheinlich auch nur dort eingesetzt. Diese Strecke ist seit 1960/63 elektrifiziert. Der Vampir Graf Dracula kam nach neuesten Forschungen um 1550 aus der Walachei und lebte in den Wäldern südlich  von  Kronstadt und Hermannstadt.

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© Dietmar Mieskes