Dampflok Siebenbürgen Fotos, Zeichnungen und Erlebnisberichte vom Künstler Arnold Müll
Dampflok SiebenbürgenFotos, Zeichnungen und Erlebnisberichte vom Künstler Arnold Müll

Fahrt nach Buzau 192-

Schon früh brütete die Sonne auf das rotflimmernde Auf- und Ab der sich hinaufschlängelnden Dächerstraßen dieser schon südlichen Stadt. Aus fruchtbarem Gebreit der  Hochebene steigt  sie stetig bis hin an die waldrauschenden Hänge der hier auslaufenden Berge der Burzenländer Karpaten. 380 m hoch über dem Marktplatz, Rathausturm und "Schwarzen Kirche" erhebt sich die grüne, kühle Blätterwand der "Zinne", dem Wahrzeichen von Kronstadt. Sprengwagen durchfuhren die heißen Straßen und ihr Gespritze verbreitete für kurze Zeit nach Staub riechenden Dunst. Den Pferden, der vielen ländlichen Fuhrwerke, wurden wassertropfende Säcke auf die schweißglänzenden Rücken geworfen und klatschnasse Ohrenkappen über die hängenden Köpfe gestülpt. Die Büffel und Ochsen verzichteten in stoischer Gleichmut wiederkäuend, auf diese besondere Vergünstigung. Hier oben vor der Zinne, im Ursprungskern dieser einst rein deutschsprachigen großen Stadt, auf dem Wege hin zum Balkan, herrschte geschäftliches Treiben. Stadt und Land tauschten aus, was sie zu bieten hatten. Die Fülle quoll über die Ränder der auf dem Marktplatz vor den hingereihten Ständen, fein säuberlich auf dem Pflaster ausgebreiteten Decken und Tücher. Es roch quer über dem ganzen Markt. Berge von Waldfrüchten lockten in duftender Frische und Frühobst lachte einem frech und farbenfroh in`s Gesicht. Der sich wundernde Fremdling fragte sich, woher nur diese Mengen von noch taufrischen Früchten, Beeren und Pilzen? Nun, der hier Heimische kennt den Segen dieses Erdenwinkels, die Fülle der fleißgetränkten Erträgnisse aus Gärten, von Hügeln und Feldern und den aus den sich Welle um Welle und Stufe um Stufe über die Höhen sich hinziehenden, riesigen Waldungen.

In diesen Tagen der Reife, konnte man Bauern, Wald- und Bergmenschen nachts erkennen, so wenn es zaghaft zu Tagen begann, wie sie als stumme Gestallten, auf den zur Stadt strebenden Wagen und Straßen (die frei von Kraftverkehr waren), vielfach barfuß, schwerbeladen, erdbeerduftend oder pilzumwittert, dahintrippelten- oder auch büffel- und ochsenbespannt, wie- genden Schrittes, der in Morgendämmer zwischen blauschwarzen Nacht- bergen noch schlafenden Stadt, entgegenwankten. In ihr wurden dann in schon heller Morgenfrühe, in einer Wolke von Gefeilsche und Beerengeruch dem wählerischen Käufer die Früchte handvoll zum Probieren und Kaufen entgegengehalten. Tiefdröhnend senkte sich der Glockenschall von zehn dumpfen Schlägen vom Turm der Schwarzen Kirche auf das gestikulierend-schwatzende Gewimmel des Wochenmarktes. Er strich hinaus vor die Tore der Stadt bis zum Bahnhof mit seinen sich lang hinziehenden Gleisanlagen. Erschrocken fuhr ich aus meiner Träumerei, lief durch die Purzengasse zum Reisebüro "Cook" und erstand mir eine Fahrkarte nach Buzau. Dort wohnte mein Bruder. Diese Stadt liegt jenseits der Karpatenberge in der Ebene, in diesem, von großen geographisch- und klimatischen Gegensätzen geteilten Land. Entsprechend sind auch die Bewohner sehr unterschiedlich geartet. Sie kommen oft aus ihren Heimatbezirken nicht heraus. Tun sie dieses, dann, um ihre Kinder im Lande oder ihre Soldaten irgendwo in einer Kaserne zu besuchen. Ich hatte also auch einen Besuch vor, es war die erste größere Reise in meinem noch jungen Leben. Es war wieder einmal ungewöhnlich warm. Draußen, vor der Stadt schwelgte die Hitze über dem Bahnhof und den Gleisen in flirrenden Luftmassen,

Um zum "Großen Bahnhof" zu gelangen, ging`s erst durch die sich lang hinziehende Vorstadt, entweder zu Fuß oder mit der Droschke, bespannt mit 2 PS. Autotaxi oder Busse gab es nur spärlich. Etliche Jahre früher gab es noch ein anderes Fahrzeug- die "Tramway" -eine Dampfstraßenbahn. Mit dieser konnte man entweder zum Nebenbahnhof "Bertalan", an der Bartholomäuskirche gelegen oder durch die Vorstadt am großen Bahnhof vorbei, in die "7- Dörfer" fahren. Diese liegen alle draußen an den waldreichen Hängen der Karpatenberge. Dieser Straßenbahn müssen noch einige Worte gewidmet werden. Damals, ich erinnere mich noch gut, war das eine Selbstverständligkeit, wenn Mutter mit uns drei Kindern, sich diesem heut seltsam anmutenden Verkehrsvehikel, anvertraute. Zwei offene Wägelchen wurden von einer überdimensionalen wackelnden Blechkiste gezogen. Holpernd, durch den kurzen Radabstand beider Triebräder, im zottelnden Rhytmus der hin- und hergehenden Schubstangen ging es klappernd und ratternd,d azu gehörig Dampf- und Rauch spuckend, dahin. Bei jedem Menschen, der ohne Eile dicht vor diesem herrlichen Fahrzeug die Straße überquerte, wurde er und das ganze Straßengetriebe durch jähe Dampfpfiffe zurechtgewiesen. So geschah es des öfteren, daß ein aufgescheuchtes Ochsen- , Pferde- oder gar Büffelgespann samt anhängendem Gefährt, mit allem Drauf und Dran, mit hochfliegenden Schwänzen in gewaltigen Fluchten das Weite suchte. Daß es hierbei nicht ohne "Blech- will sagen Holzschaden" abging, ist nicht verwunderlich. Alle waren froh, wenn diese aufgeregten Vierbeiner endlich zum Stehen und Mensch und Tier unverletzt blieben. Wie man sieht, gab es damals auch schon Verkehrsprobleme. Das Geld war rar und ich strebte zu Fuß dem großen Bahnhof entgegen, dabei aus allen Poren schwitzend.

Es war wieder einmal ungewöhnlich warm. Draußen vor der Stadt schwelgte die Hitze über dem Bahnhof und den Gleisen in flirrenden Luftmassen, zitterten die Formen in irritierender Unschärfe. Auf den Stufen zu den Eingängen des Bahnhofs, lagerten und lungerten sie in ihrer typischen Landeskleidung, in der prallesten Sonne hingestreckt, die Söhne dieses Landes, Bauern und Naturburschen aus den Wäldern und den bergigen Höhen. Die meisten schliefen und schnarchten, zum Teil von ihren zottigen Schafspelzen bedeckt, sich so vor der stechenden Sonne schützend. Man konnte sie im Sommer oft sehen, wie diese  von der Natur begnadenten Menschen, auf diese Weise die Wartezeiten zu irgendwelchen Zügen ohne Zögern und oft in unerträglicher Hitze, einfach verschliefen. Über die wartenden Schläfer hinwegsteigend, gelangte ich in den Schalterraum der Fahrkarten-Ausgabe. Vor dem einzig geöffneten Fensterchen herrschte ein qualvolles Gedränge. Ein stickiges, nach Zwiebeln, Schweiß und Schafskäse duchsetztes Luftgemisch, schnitt mir den Atem weg. Mit Müh und Not erreichte ich durch das Menschengewühl das Freie. Dort im Dachschatten des langen "Perrons" fanden sich meine Sinne wieder. Hier nun, wo man die vorderen Eisenbahngleise normalerweise zu sehen bekommt- Bahnsteige sind hier unbekannt, lagerte ebenfalls eine riesige Menschenmenge, die sich schwatzend, kauend und wassertrinkend, auf ihren Gepäckhaufen wie zu einer langdauernden Belagerung niedergelassen hatten. O Weh- dachte ich- das wird etwas geben, wenn die alle mit Sack und Pack in "meinen"  Zug, der bald eintreffen wird,e insteigen wollen- sicher gibt es da einiges zu sehen. Nun, das gab es denn auch. Zum Glück sollte aber vorher noch ein Personenzug einlaufen, der in gleicher Richtung fuhr. Auf diesen schien dieser Menschenhaufen auch tatsächlich zu warten. Aber was in der Zwischenzeit geschah, ist kaum mit Worten zu beschreiben, für Westeuropäer unfaßbar.

Es muß hier hinzugefügt werden, daß dieser Vorgang nicht alltäglich war, aber ähnliche Erscheinungen,in abgeschwächter Form, kamen recht häufig vor. Stand ich doch selbst beim Einsteigen in der Menge eingekeilt und hörte die wütend abgerissenen rumänischen Sätze über die Köpfe schwirren: "Die da in der Station hinter den vergitterten Fenstern, verkaufen Fahrbillets auf Teufel komm raus- aber ob und wie man fahren kann, interessiert sie nicht. Sie sagen: "Bittschön", die Karten könnt ihr haben, aber seht dann auch zu wie ihr weiterkommt!" Die Stationsvorsteher wußten um den chronischen Waggonmangel. Ein Personenzug schob sich mit langhaltendem Pfeifen, sehr langsam herein, um dieses Berg- und Landvolk von den Schienen wegzuräumen. Mit zwei Maschinen, einer 2C- (P8) und einer ehemaligen ungarischen 1C1, wurde unwiedrstehlich das Gleis entvölkert. Der Zug kam mit einem Schnaufer zum stehen- um dann innerhalb kürzester Zeit in einem wogenden Menschengebrande zu verschwinden. Wie ein wildgewordener,aber lärmender Ameisenhaufen wurden die Waggons mit kribbelnden und bekletternden Menschen überschwemmt. Kantige Kisten, grifflose Koffer und prallvolle Packen, wimmernde Bündel und weinende Kinder. All dieses wurde Kopfüber hochgestemmt und hochgewuchtet, durch die offenen Fenster in`s Wageninnere gestürzt, gestülpt, gezwängt. Die Insassen wiederum, versuchten mit allen Kräften, diese anstürmende Flut durch die gleichen Türen und Fenster hinauszudrängen. Der Zug kam offensichtlich überfüllt an und die hier neu  Hinzusteigenden konnten für sich einen eigenen Zug gebrauchen. Da aber nur dieser neu Angekommene zur Verfügung stand, gab es keine andere Wahl und jeder kämpfte gegen jeden mit dem Mut der Verzweifelung.

Es half aber alles nichts, die Wagen faßten die Menge nicht und der Zug platzte aus allen Nähten. Der Raum zwischen den Waggons, die Treppen samt Plattformen mit den Zugängen in`s Wageninnere, die Puffer, die Leitern zu den Dächern, es wimmelte von Köpfen, Leibern und Beinen und sich festhaltenden Händen. Es war dieses eine Menschenfracht, die vom gewohnten Bild eines Zuges nicht viel übrig ließ. Und immer noch wollten sie haufenweise hinein und hinauf. Jawohl hinauf, das hatten die nun noch immer draußen Herandrängenden gemeinsam und auf einmal erspäht. Die Dächer in ihrer aufreizenden Kahlheit luden doch förmlich zur vollständigen Besetzung des Zuges ein. Und in wenigen Minuten, dieses Volk schien nur aus Turnern zu bestehen, waren die Wagendächer mit sitzenden Menschengruppen übersäht. Ein stolzes Siegesgeheul drang von der Höhe herab, hatte man nun doch die besten Plätze des Zuges ergattert-Licht, Luft und Sonne, kein Gedränge und eine festliche Aussicht. Inzwischen befanden sich am Kopfende des Zuges zwei neue Lokomotiven, kleinrädrig und von gedrungerer Bauart. Die Lokführer durch das lärmende Getümmel und die Abfahrtsverzögerung beunruhigt, stiegen von ihren wild abblasenden Maschinen herab und schauten mit großer Besorgnis auf ihren Zug. Einer lief in das Stationsgebäude, um gleich darauf mit dem Aufsichtsbeamten,e inem jungen, hier neu eingesetzten Manne, herauszustürzen. Zwischen ihnen ein heftiges, händefuchtelndes Palaver, der Lokführer: "Hören Sie Herr! haben Sie das nicht gesehen! Wie können Sie nur so etwas zulassen? Dann in höchster Erregung:" Ich muß diese Abfahrt verweigern! Schauen Sie sich das an, diese Menschen werden doch alle herunterrasiert und ein Teil von ihnen wird auch noch ersticken!" Eine jähe Blässe schoß dem Rotmützigen in`s Gesicht- die Tunnels! Du heilige Maria!

Dem aus dem Tiefland hierher Versetzten fuhr eine wilde Angst durch`s Hirn. Wie konnte er nur so etwas vergessen. Mit wenigen Sprüngen war er im Dienstraum. Heraus kam er mit einem Sprachrohr. "Silentium" ertönte es weithin vernehmbar. Hören Sie Herrschaften- seien Sie doch bitte still und hören Sie doch was ich Ihnen sagen muß! Und es wurde tatsächlich still bis auf das rhythmisch-fauchende Zischen der Abdampfstrahler an den Schornsteinen beider Gebirgsmaschinen. "Sie müssen alle herunter! Da oben können Sie nicht bleiben!" ertönte es den Horchenden entgegen- Stille- "das ist gefährlich, das kann Ihnen das Leben kosten"- wieder Stille- keine Antwort der bequem sitzenden Dachbewohner. "Hallo! Verstehen Sie nicht, Sie fallen doch während der Fahrt herunter!" -Und wie auf ein Kommando in vielstimmigen Chor zurück: "Nein, nein, wir fallen nicht, wir sitzen ganz fest auf unserem Hinterteil!" -Atemlose Pause " Aber so schnell wie möglich da herunter" trompetete es zornig hinüber. "Ja wieso" wurde zurückgerufen "wir haben doch unsere Fahrt bezahlt und dürfen nicht einmal auf dem Dache sitzen?"- "Herunter sofort herunter" erscholl es in äußerster Erregung über die Köpfe der immer noch stoisch Festsitzenden. In seiner Hilfslosigkeit und in Anblick dieser verzweifelten Situation wuchs der Stationsvorsteher über sich selbst hinaus und verschwand eilenden Schrittes von der Bildfläche- um gleich darauf mit großen, hastigen Schritten sich auf`s Neue dem Schauplatz zu nähern, dabei eine schwere, weitschwingende Peitsche in den Händen wippend. Innerhalb kürzester Frist waren die Dächer entvölkert. Es genügte, an einer Stelle nur, die peitschenden Hiebe über die mit beiden Ärmel schützend eingezogenen Köpfe, fegen zu lassen. Diese Sprache, mit der sie selber trefflich umzugehen verstanden, begriffen diese Land- und Bergmenschen im handumdrehen.

Blasend und schnaubend konnte dann dieser, immer noch mit überschweren Menschentrauben behängte Zug, eine halbe Stunde später nach Fahrplan, ab und davonfahren, den Bergen entgegen. Diese von den Dächern Gejagten, machten Gesichter wie Schafe, die von der Herde getrennt wurden. Am liebsten wären sie allesamt dem langsam entschwindenden Zuge nachgelaufen was ich bei anderen Gelegenheiten schon mehrfach beobachten konnte. Diese Menschen begriffen nicht was Tunnels seien und warum es ihnen verwehrt wurde da oben sitzen zu bleiben. Von Tunnels hatten sie noch nie etwas gehört und Rauch könne ja gar nicht so gefährlich sein. Pünktlich, zehn Minuten später kam "mein"  Schnellzug. Mit funkeln, sehr spitzer Rauchkammertür näherten sich langsam zwei schlanke hochrädrige Lökomotiven, ebenfalls ungarischen Ursprungs, aus der 327-er Baureihe. Schwarzglänzend fuhren sie,  heiße, nach Öl schwitzende Luft ausstrahlend, ganz nahe an meinem Gesicht vorbei. Es gab kein Gedränge und schnell befand ich mich in einem dieser, mir schien es, besonders geräumigen und sauberen Wagen. Es gab Lokomotivwechsel. Bald setzte sich der Zug mit raschen, rhythmischen Auspuffschlägen zweier Henschel- 1D- (G8), den Predeal-Gebirgsmaschinen in Bewegung, ebenfalls den Bergen entgegen. Außerhalb des Bahnhofes, durchfuhren wir in schnellem Tempo die große Südkurve. Der Zug schwenkte in das schöne Tömöschtal und kurz vor der Steilstrecke überholten wir den überfüllten Personenzug, aus dem uns vergnügt- schreiende und lachende Menschenmassen nachwinkten. Unser Zug war gut besetzt. Es waren Kaufleute und Händler aus Grosswardein, Klausen- und Schässburg. Mir schien aber, daß auch viele Fremde diesen Zug benutzten. Sie lasen in Zeitungen oder unterhielten sich angeregt über Handel, Wirtschaft und Politik. Der Zug mit seinen Reisenden entsprach westlichen Maßstäben..

Im wilden Donnertakt mit hohen Dampfwolken ging es die kurvigen Rampen aufwärts, vorbei an rauschenden Tannen und steilhinauf- strebenden Bergwäldern. Helles Pfeifen, das gleich darauf hohltönend verschluckt wurde, kündete den großen Kehrtunnel an, in dem es wie in einem Kraftwerk rumorte. Nach längerer Zeit hellte es auf. Durch das geöffnete Fenster stob frische Luft um die Nase und ungehindert stürzte klarblauer Himmel in`s Wageninnere. Die Insassen blickten interessiert hinaus auf die hohen Berge. In rasender Fahrt senkte sich der Zug vom Predealpass. Er durchfuhr ohne Halt einladende Sommerfrischen und idyllisch gelegene Bergnester von steilen Felsmassiven umgeben. In Sinaia, 55 Bahnkilometer von Kronstadt entfernt, hielt der Zug mit knirschenden Bremsen. Platzreife Weichselkirschen in Zöpfen geflochten, Wald- ,Erd- und Himbeeren, auf großen, grünen Blättern, wurden den Eisenbahnreisenden mit freundlichen Gesten zum Verkauf entgegengereicht. Es waren Einheimische,in schmucken Volkstrachten anmutig daherschreitend, die diese aromatischen Früchte den Käufern anboten. Weiter ging die eilende Fahrt, schmetterte der Zug sein eisernes Lied durch das immer breiter werdende Prahovatal, durch Kurven,über Brücken durch Tunnels, immer schneller hinaus aus dem Reich der blauen Berge und  hinein in die heiß-dunstende Tiefebene der großen Walachei. Cimpina, die einstigen, nun längst über große Landstriche ausgedehnten Fundstätten von Erdöl. Wieder Maschinenwechsel- die beiden Gebirgslo-komotiven blieben zurück und mit hohen, ausgreifenden Rädern einer Schnellzug-Lok, stob der Zug wieder davon. Ploiesti, die Stadtsilhouette des Zentrums riesiger Ölraffinerien und mit einem großen Eisenbahnknotenpunktes, kam in Sicht, hier galt es umsteigen. Doch zu meinem nicht geringen Schrecken wurde nichts daraus.

"Das war noch einmal gut gegangen" hörte ich von oben herab und gleichzeitig klopfte eine Hand beruhigend auf meinen Rücken, dann entfernte sich der Schaffner. Nun gings die gleichen 60 km zurück nach der Ölstadt. Das Umsteigen erübrigte sich nun, besaß ich ja noch die in Kronstadt nach Buzau gelöste Karte.Von diesem Billett wußte der gute Schaffner noch nichts. Auch dieser Zug war voll mit Menschen. Es dauerte eine Weile bis ich einen Sitzplatz fand. Zur Ruhe gekommen, hatte ich nun Zeit, meine nähere und weitere Umgebung in`s Auge zu fassen. Mein Magen begann auch zu knurren. Das war nicht verwunderlich, denn alles was in diesem offenen Wagen überschaubar war, kaute mit vollen Backen. Ja, da saßen sie nun wieder, die vertrauten Gestalten, diesmal Vertreter aus dem Tiefland. Durch die geöffneten Fenster strömte heiße Luft in die lachend-schwitzenden und schmatzenden Gesichter. Kalte Polenta (Maisbrei) in der einen, Arde (grüne große Paprika-Früchte) in der anderen Hand, stippten sie die letzteren in, auf Zeitungspapier gestreutes Salz. Sie genossen das mit sichtlichem Behagen. Ab und zu wurde eine helle Flasche hochgekippt und es begann durchdringend nach Zuika (Pflaumenschnaps) zu riechen. Das war die eine Gruppe. Die andere,junge Männer und Frauen verspeisten gemeinsam, ebenfalls Maisklumpen in den Händen und Schafkäse mit grünen rohen Gurken. Wieder andere "titschten" abgerissene frische Weißbrotstücke in eine mit Olivenöl gefüllte flache Holzschale und aßen junge Zwiebeln samt den grünen Schloten dazu. Die dreifache Freude,d es Essens, Sitzens und Eisenbahnfahrends, versetzte dieses gutmütige Volk in kindlichen Frohsinn und unbeschwerte Heiterkeit. Weitärmlig behemdete Mannsleut, braungebrannte Naturburschen, wie die sich doch bei ihrem Naturell mit dem Weibsvolk zu schaffen machten!- Dabei derbe Witze reißend, daß diese grell aufkreischten.

Der Zug hielt weit draußen vor dem Bahnhof, der Abzweigstelle nach Bukarest. Eine Minute  Halt. Mit knallend-hinhallenden Auspuffschlägen wandte sich der Zug jäh ab und die 2C1- vierling Maffei-Pacifik warf sich in eine weitausholende Rechtskurve, um dann in rasendem Tempo in einer Zielgeraden dem 60 km entfernten Bukarest entgegen zu brausen. Mit langem Gesicht schaute ich der entschwindenden Ölstadt nach. In was für einem Zug befand ich mich eigentlich? Es wird dies doch nicht ein "Rapid" - ein Fernschnellzug sein? Es war einer ! Mir wurde langsam unbehaglich, die Zugkontrolle mußte bald kommen. Die kannte keinen Spaß und ließ sich sich auf nichts ein. Wie atmete ich doch auf als wir in das Gleisgewirr der "Gara de Nord" von Bukarest einliefen. Die Fahrkartenkontrolle kam nicht. Heraus aus dem Zug und hinaus zum Fahrkartenschalter. Mit viel Aufwand erstand ich vor einem Menschenhaufen eine neue Karte bis nach Ploiesti- Buzau- Galati. Den am Zugende postierten Schaffner nochmals fragend, ob alles stimme und ihm dabei die Karte hinreichend: "Nix gut! Nix gut! Zurück! -Billet retour!" Erschrocken starrte ich die Karte an. Tatsächlich, sie war verkehrt, hatt mir doch der Beamte eine falsche Fahrkarte ausgehändigt. Ein abermaliges Zurück zum Schalter, "ich solle aber ja schnell machen, der Zug ginge in 3 Minuten ab" rief mir der Schaffner nach. Vor dem Schalter ein Wortgefeilsche und ein langsames Begreifen. Die nun richtige Karte in der Rechten, in der Linken den Koffer,stürzte ich erneut davon, zu meinem Zug. Der Schaffner sah mich schon von weitem. Er warf  beide Hände hoch und rief "repede, repede" -schnell, schnell, lief mir entgegen, packte den Koffer und mich und schob beide in die letzte, offene Wagentür, des schon anfahrenden Zuges. Im Gang mußte ich mich erst auf den Koffer setzen um nach Luft zu ringen. Ich war völlig durchnäßt.

Breite, schwarzharige Männerbrüste und rundliche pralle, weibliche Formen, lugten da und dort durch weißbauschige Hemden. Letztere mit einem spannenbreiten Ledergürtel zum Verstauen von Geld und anderem Unentbehrlichem, die Hüften umschließend. Das hautenge, aus dickem, weißen Filzzeug, Schenkel und Waden gleichermaßen einhüllende Beinkleid der Männer wurde im Oberteil vom Gürtel abwärts, spannenweit vom fallenden Hemd, faltenreich umwallt. Schlanke Wollbeine wechselten ab mit kräftigen, Handgewebten schwarzen und weißen Frauenröcken. Das ganze Fußgewimmel steckte in Opintschen, gut eingewickelt und verschnürt. Unterdessen fuhr und fuhr der Zug. Irgendwo im Wagen erhob sich der Klang einer Hirtenflöte. Die wehmütige Melodie schwebte zaghaft und ferne über dem "RRatteradat" des Zuges. Da und dort wurde der kleine,schwarze Hut übers Gesicht geschoben um einzunicken. Das Geschwätz der Gesättigten wurde immer weniger und erlosch ganz. Der Schlaf griff, wie eine ansteckende Krankheit um sich. Ein Kopf nach dem andern legte sich zur Seite und es erstarb die klagende Weise von Einsamkeit und fernen Weiten mitsamt den schnarchend-untergründigen Grunzgeräuschen im dröhnend-stählernen Lied des Zuges. Kracktürme und Öltanks tauchten auf. Es roch bereits intensiv nach Petrol. Das Gleisdreieck durchfahrend, schwenkten wir zum menschenvollen Bahnsteig des Ploiester Bahnhofes ein. Ein Hinaus- und wieder Hereindrängen von verschwitzten Menschen. Ein Hin und Her und bald war die alte Ordnung wieder hergestellt und weiter ging die Fahrt.Mit harten Dampfschlägen der  "4-ling Maffei"  ging`s nun genau nach Osten, hinein in die endlose  walachische Tiefebene. Himmel und Erde schwammen bereits weit vor dem Horizont in wabbernder Sonnenglut. Wie Ohnmächtige schliefen alle Insassen mit feuchtroten Gesichtern und offenen Mündern.

Ich selbst ertrank von Mal zu Mal in bleierne Untiefen. -Und dann stand der Schaffner vor mir! Zwei schwarze, staunende Augen, ein kreisrunder Mund in einem langen, blassen Gesicht und all dieses auf mich gerichtet. Das war das erste nebelhafte Erkennen und Begreifen. "Junger Herr, Sie haben verschlafen! Ploiesti ist längst vorbei!" hörte ich noch von weither. Verdöst griff ich mechanisch in die Hosentaschen, dabei die richtige Karte herausfischend, die ich dem Besorgten hinhielt, um schlafend gleich wieder wegzudämmern. Abermals hochgerüttelt, sah ich von neuem in das verdutzte Gesicht, wie diese ängstlich abwechselnd das Billett und den Schlaftrunkenen musterte. Die mörderische Glut tat das ihre um das denkgewohnte Schaffnerhirn zu belasten. Er kam und kam nicht auf den Grund eines für ihn offensichtlichen Rätsels. Die Karte mir wieder zurückreichend, schloß er diesen seltsamen Fall ab. Kopfschüttelnd ging er davon, den Weg durch ein Beingewirr von Schlafsüchtigen sich bahnend. Wir näherten uns Buzau. Weit im Norden erkannte man in der heißzitternden Luft die blaßblauen Ausläufer der Karpaten. Das Ziel ward erreicht. Noch völlig benommen entstieg ich dem Zug. Langsam durchschritt ich den stillen Bahnhof und den völlig autoleeren Vorplatz. Auf diesem ein leuchtendrotes Rosenbeet und darüber thronte ein Adlerdenkmal. Darauf verweilten meine Augen etwas länger. Der schwingenausbreitende Riesenvogel erschien mir etwas übertrieben königlich. Auf der anderen Seite des Platzes angekommen überschaute ich nochmals rückblickend das Ganze. Verwirrten Blickes blieb mir der Mund offen. Besagter Denkmaladler erhob sich mit weit ausholenden Schwingen um auf dem Bahnhofsdach zu landen. Das war zu viel, sitzend fand ich mich auf meinem Koffer wieder. Der Schweiß perlte unaufhaltsam von der Stirn.

Rauchwolken stiegen steil über das Dach und mit lautem Auspuffdonner fuhr der Zug von dannen. Dieser mächtige Vogel schien an Eisenbahnen und seine Geräusche gewöhnt zu sein. Er blieb sitzen und schaute offenbar dem Zug nach. Erst draußen im Försterhaus, das mein Bruder als Stadtgartenarchitekt bewohnt, wurde die Geschichte dieses Eisenbahnvogels gelüftet. Diese würde hier aber zu weit führen. Dieser "Adler" war ein Kuttengeier. Rasch neigte sich der Tag mit seiner sengenden Glut, mit seinen schmerzendweißen Licht. Blauviolette Dämmerung senkte sich als wohltuhender Vorhang über die noch heiße Erde. Abermals stieg die Müdigkeit herauf und die Gedanken versanken in einem Meer von Mais- und Weizenfeldern. Zikaden-Gezirpe begleiteten das Rollen eines in die Nacht davon- eilenden Zuges.

Nachsatz:
Die hier geschilderten Ereignisse stützen sich auf ein Erlebnis aus den 20-er Jahren. Inzwischen sind auch in Rumänien andere Verhältnisse eingetreten, obwohl auch heute noch manches lebhaft an diese Zeit erinnert.

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© Dietmar Mieskes