Dampflok Siebenbürgen Fotos, Zeichnungen und Erlebnisberichte vom Künstler Arnold Müll
Dampflok SiebenbürgenFotos, Zeichnungen und Erlebnisberichte vom Künstler Arnold Müll

Meine letzte 142-er der CFR/114-er Reihe der ÖBB (im März 1973,im Banat in Rumänien)

Pünktlich um 6.39 verließ unser Schnellzug die Stadt Sibiu,das hierzulande weithin bekannte, vor der schneebedeckten Kulisse der Transilvanischen Alpenkette gelegene  Hermannstadt. Das nächste Ziel war die 284 km, unweit der rumänisch- ungarischen Grenze, bereits in der Niederung des Theiß- Donau- Tieflandes sich ausbreitenden Stadt Arad. Es war mir bekannt,daß auf der westlichsten Nord- Südstrecke Rumäniens,noch eine bis zwei Dampfloks der 142-er Baureihe im täglichen Schnellzugdienst verkehren würden. In sausender Fahrt näherte sich unser 8- Wagenzug, mit der Winterbespannung einer 060-DA Standart- Diesellok und der 230-er Dampflokomotive (deutsche P8), dieser bemerkenswerten Stadt. Schienen und Gleise bündelten sich zur Einfahrt in einen großen Bahnhof. Und schon tauchte die Frage auf, wo lag das Lokdepot der CFR? Dann kamen auch schon auf der rechten Seite die ersten abgestellten Maschinen in Sicht. Unser Zug verlangsamte die Fahrt und man konnte unter vielen bekannten Baumustern auch jene,alles überragenden Maschinen erkennen, die das Herz eines jeden Dampflokfreundes auf Touren brachte: Die Riesen der CFR, der 142-er Baureihe. Es waren 6 Stück, keine stand unter Dampf. Es war erschreckend- so viel rostendes Eisen, soviel kalter, noch blinkender Stahl. Wie überall in den größeren Lokdepots so auch hier, war man überrascht und verstimmt über das Ergebnis der schon sehr weiten Entwicklung der Ausmusterung. Mit Sorge, sowie um ein Stück Hoffnung ärmer, je einer noch "Dampfenden" aus der 142-er Reihe zu begegnen, fuhren wir kurz nach 11 Uhr in den Arader Bahnhof. Dieser Bahnhof mit seinem ausgedehnten Schienengelände, bot ein Bild regen Betriebes.

Es rangierten Dampfloks der Baureihen 50 und 131 und einer 140-er Schlepptenderlok mit Dampfdom- Verbindungsrohr, vermutlich bereits ein Veteran, aber alle leider außerhalb des für Reisende zugänglichen Bereiches. Ein Güterzug mit einer Dampflok der 150- er Baureihe (1E) mit Doppelschornstein, rollte mächtig dampfend weitab meines Standpunktes durch das Bahngelände. Etliche Lokalzüge, bespannt mit Dampfloks der Baureihen 50 (E) und 230 (P8) rundeten das Bild ab. Ein noch fälliges Schnellzugpaar Nr. 3113/14, das Arad mit Oradea (Großwardein) und Timisoara (Temeschburg) verbindet, nahmen wir uns noch besonders vor. Doch auch diese beiden Züge kamen und fuhren mit der nun schon üblichen Winterbespannung, 060- DA Diesel und 230- er Dampf  (P8). Zwecks Übersicht wollte ich meinen Standort grundlegend ändern. Mein im Wartesaal "stationierter"  Bruder, der mich auf dieser Eisenbahntournee getreulich begleitete, wurde verständigt und ich strebte einer außerhalb des Bahnhofes, die gesamten Gleise überspannenden Straßenbrücke zu, die ich in 7 Minuten erreichte und von dieser gewann man einen umfassenden Überblick. Noch immer hing ein gleichförmig- sonnenloses Grau vom kalten Winterhimmel.A uf der langen und zugigen Brücke, mir die kalten Beine vertretend, vertrieb ich mir die Zeit mit Sehen, Höhren und Registrieren. Viele Leute, offenbar heimkehrende Arbeiter, überquerten schaarenweise diese luftige Straße. Es war kurz nach 15 Uhr und gerade Betriebsschluß. Dampfloks der Baureihe 230 näherten und entfernten sich. Etliche von ihnen rollten unter die Brücke und verschwanden in Richtung Depot, dessen Standort von hier aus nichteinmal Dampf und Rauch verrieten. So rann die Zeit dahin und ich wartete weiter beim Dahinschlendern auf irgendwas  Besonderes. Das Glück,der erhoffte Zufall blieben aus, eine außergewöhnliche Situation trat nicht ein- auch  eine erhoffte 142- er blieb ebenfalls unsichtbar.

Frierend und des Wartens müde und überdrüssig, besann ich mich auf meinen im Wartesaal sitzenden Bruder. Diese Brücke zum letztenmal überquerend,sah ich ziemlich gleichgültig auf die unter mir zum Bahnhof  strebenden Gleise. Und dann geschah es! Einem Trugbild gleichend, schob sich unter dem andern Brückenende, fast lautlos und ohne Dampf und Rauch ein Lokomotivgigant hervor, der rasch mit einer D- Zugschlange dem Bahnhof entgegeneilte. Erschrocken fuhr ich zusammen- eine 142-er !- zuckte es in meinem Hirn- ein Heißdampfstrahl schoß die Beine hinab- und schon saußten diese mit allem Drum und Dran hinaus über die Brücke und hinunter zum Bahnhof. Passanten, die diese abrupte Szene bemerkten- der Zusammenhang schien jedermann klar- dachten sicher: "Na, ob der diesen Zug noch erreichen wird" ? Die Angst beflügelte den eilenden Fuß, ihn jagte die einzige Sorge, nur ja nicht diese Gelegenheit zu verpassen, um diese vielleicht letzte noch dampfende 142-er auf den Film zu bannen. In langer Flucht und außer Atem erreichte ich das Stationsgebäude. In dieser scharf hineinbiegend, drängte ich durch ein Menschengewühl hinaus zu den Bahnsteigen- donnerwetter ! der Zug stand noch da!- Noch einmal tief Luft holend, nur ja kein Aufenthalt und hinaus gings zur Zugspitze- und wirklich und wahrhaftig- sie stand da, dieser mächtige Lokomotivgigant der einem den Atem verschlug. Ja wo gibt es auf Schienen noch eine solche Maschine die soviel geballte Wucht und Kraft ausstrahlt und vorzeigen kann? Kopfschüttelnd stand ich nun hier und konnte es partout nicht begreifen, daß nicht alle Passanten vor diesem Koloss staunend stehen blieben. Sinnend überlegte ich, bevor ich die nächsten Schritte tat: so wenig Respekt vor so viel technischer Leistung? Verhaltenden Schrittes, als befände man sich in einem Eisenbahnmuseum, ging ich dicht an diesem blitzsaubern Dampfroß,

daß sich völlig ruhig verhielt, vorbei, überschritt vor seinen Puffern die Schienen und suchte jenseits des Gleises hinter einem Gittermast vor ungebetenden Gästen instinktiv Schutz. Jetzt sah ich auch, daß Wasser auf der rechten Tenderseite genommen wurde. Ja, immer wieder mußte man staunen über die Schönheit dieser hochgebauten, alles Bekannte weit überragenden Mächtigkeit dieses einmaligen Lokomotiv- Giganten der in den Hallen des Florisdorfwerkes in den 30- er Jahren als Baureihen- Nr. 214 das Licht der Welt erblickte. Es kamen allerdings wegen der einsetzenden Elektrifizierung nur 13 Exemplare zur Auslieferung, während die CFR im Lizenznachbau 79 Maschinen als 142- er Reihe in den Werken Malaxa und Resita bauen ließ und auf die Schienen stellte. Doch die Zeit drängte, es mußte gehandelt werden- es gab kein Zaudern mehr, die Frist war herum- der Wasserkran wurde eben zur Seite geschwenkt. Mit Zittern und Zagen wurden die ersten Aufnahmen gewagt. War diese verruchte Tätigkeit an solchem Ort  doch nicht ein unglaublicher Leichtsinn? Auch konnte von einem kaltblütigen Wagemut absolut keine Rede sein. Statt dessen rieselte es in rascher Folge mal kalt mal heiß über den nassen Rücken. Wenn das mein Bruder wüsste was ich hier treibe? Denn keineswegs war das alles vergessen was uns auf diesem Gebiet in diesem Land widerfuhr. Wir machten böse Erfahrungen und die Suppe die wir da auslöffeln mußten schmeckte verdammt bitter und ich vermeinte auch jetzt diesen herben Geschmack auf der Zunge zu spüren. Nun, von all dem was hier draußen an diesem Schnellzugsgleis gelitten und durchgestanden wurde, wusste mein Bruder nichts. Später fand ich ihn. Er saß im vollen  Wartesaal seelenruhig auf einer Bank und studierte die Zeitung. Grauschwarz schimmerte der triste Schneehimmel auf den mächtigen polierten Kessel. Leise kräuselte Dampf um Triebwerk und Führerhausdrehgestell. Sonst eine auffallende Stille.

Eigentlich müsste das Ausfahrtssignal schon in Schräglage stehen. Und dann aber- ohne melodischen Vieltonsirenenjauler, welcher Eisenbahnfreund hörte ihn hier in Rumänien schon?- flog mit einem heiseren Faucher die erste weiße Dampfwolke wirbelnd aus dem stumpigen Schornstein himmelwärts. Dampf entwich pfeifend aus Zylinderhähnen und mit der Gewalt hochgespannten Dampfes griff das enorme Kraftgestänge in die Speichen des vierfachen Triebwerkes und die Räder begannen ihr singendes Lied des ewigen Kreisens. Der Schnellzug Arad- Oradea (Großwardein) fuhr mit der Dampflok- Nr. 142.019 mit hohlfauchendem Gedonner und einem spektakulären Dampfwolkentanz am stillen Beobachter vorbei. Lange stand der nun völlig Entspannte, aller Sorgen ledig, am leergewordenen Gleis und schaute dem entschwundenen Zuge nach. Dampf und Rauch verflogen, das letzte wilde Stakkato verstummte. Ein Höhepunkt für einen Freund des Dampfes war vorbei. Dieser Szene mir voll bewusst, wechselte ich mit frohen Gedanken, aber doch mit etwas traurigen Augen, es sollte ja wohl der Letzte von diesen Riesen sein, der, der sich eben verabschiedete, hinüber zum Wartesaal. Dort saß er nun in stickiger Luft mein Blumenfreund und Bruder, er legte die Zeitung weg und sah mich mit seinen hellen Augen fragend an. Doch er, der er kein Eisenbahnfreund war, wusste und kannte ohnehin alles. Meine Ambitionen waren ihm nicht neu. Er konnte es aber trotzdem nicht recht begreifen, daß man sich solchen Ängsten, Nöten und Strapazen aussetzen konnte und alles wegen diesen schwarzen, öligen ungeliebten "Dingern". Nein, das war keine Sache für ihn. Für einen Eisenbahnnarrn gab es ebenfalls keine Zwiespältigkeit- ein eindeutiges Bekenntnis zu einer technischen Meisterleistung beherrschte die Szene- für ein wenn und aber war da kein Platz, besonders dann,

wenn man wusste, an der Spitze des eben, ausgelaufenen Zuges befindet sich eine 142-er -da gab es nur eins- nichts wie hinaus auf den Bahnsteig.
Im Astoria-Hotel erhielten wir für eine Nacht ein Zimmer. Mein "grüner" Reisepaß erleichterte diese oft schwierige Angelegenheit. Auf unserem Spezial- Rundreisebillet war für den nächsten Morgen die Abfahrt nach Oradea (Großwardein) vermerkt- Abfahrt 6.33. Als wir nach unerquicklicher Nacht in langen Schritten dem Bahnhof zustrebten, herrschte noch völlige Dunkelheit. Dort, zu dieser frühen Stunde, strudelte bereits die Masse Mensch durch Gänge und Räume. Sicherlich verbrachten, wie das hier üblich ist, die meisten der mit Sack und Pack Behängten, diese Nacht hier auf Bänken und schmutzigen Böden der Warteräume, den Korridoren und allen erreichbaren Winkeln und Ecken. Es ist das übliche Bild das man hierzulande auf Bahnhöfen zu sehen bekommt und an das sich der Westeuropäer nur schwer gewöhnen kann. Auf Gleis 1, auf dem ein leerer Lokalzug stand, sollte unser Zug ankommen und auf Gleis 2 der Gegenzug von gestern, der Schnellzug Nr. 424 von Großwardein um 6.20 einlaufen. Jetzt war es 6.19- es verblieben bis zur Abfahrt unseres Personenzuges noch volle 14 Minuten.I n dieser Zeit musste der  " 24" - er aufkreuzen, da müsste, nach meinen Überlegungen eine 142-er vorgespannt sein. Unser Gleis, auf dem noch immer der Leerzug stand und der die Sicht auf Gleis 2 versperrte, machten mich unsicher- die Sache wurde spannend. Dann Dröhnen und Rattern, ein Zug näherte sich.Räd ergewummer hämmerte über einen nahen Schienenstoß. Das konnte nur eine "142- er" sein und in der Tat, hinter dem Leerzug fuhr das Gewicht einer 124 t- Dampflok vorrüber. Im Sturmschritt gings den Bahnsteig entlang zum Ende des Leerzuges. Und da stand sie nun auf dem Nachbargleis vor ihrem Schnellzug,

die 142.019 im dämmernden Frühlicht ihr in der Feuerkiste wirbelndes Flammenlied singend. Welch ein Anblick- welch ein Wiedersehen! Hinter dem Lichtervorhang drei greller Scheinwerfer verbarg sich sein blauvioletter Schatten, wuchtig, hochgetürmt, riesengroß- eine dampfumkräuselte bestehend aus Licht und Schatten, geboren aus Wucht und Größe. Mein hinzugetretener Bruder konnte sich diesem zwingenden Eindruck ebenfalls nicht entziehen. Mitten in unsere Betrachtungen fuhr ein peitschend- gellender Pfiff,er traf wie ein Blitz. Erschrocken wichen wir von der Bahnsteigkante zurück. Das polternde Sausen unseres einlaufenden Dieselzuges riss und fegte unser malerisches Bild brutal hinweg. Der Traum war ausgeträumt, wir sahen die letzte dampfende " 142-er". Betroffen wandten wir uns ab und stiegen gemeinsam in unseren Zug. Plätze wurden eingenommen, Türen zugeschlagen- es wurde still- wir warteten auf die Abfahrt. Wum- wum dröhnte es heiser in unser Abteil. Mit enormen Auspuffschlägen fuhr der Schnellzug vom Nebengleis an. Gemischte Gefühle stiegen hoch- was gäbe ich drum in jenem Zug zu sitzen, um noch einmal die letzte Fahrt mit einer solchen Riesendampflok zu erleben. Die Dampfschläge entfernten sich rasch und sie wurden schwächer und schwächer. Ich schob das Fenster herab und lauschte hinaus auf das in der Ferne leise verstummende Lied, jener unverwechselbaren Dampflokmelodie die nur einer "142-er" angehören kann. Dann setzte sich auch unser Zug in Bewegung. Wir fuhren in die entgegengesetzte Richtung und verließen diesen fotounfreundlichen Bahnhof,auf dessen Stirnseiten unübersehbar sich der mit "Rot"  durchkreuzte Fotoapparat präsentierte, wir fuhren nach Großwardein.
 

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© Dietmar Mieskes