Rumänische Impressionen
(Nord-Bahnhof,-Bukarest im März 1973)
Es hatte vorübergehend aufgehört zu schneien. Unser dieselbespannter D-Zug näherte sich im Schritt- Tempo dem Bukarester- Nordbahnhof. Begraben und unsichtbar lag das weitverzweigte Schienennetz
unter einer beachtlichen Schneedecke. Ein seltsamer Anblick: Unser Zug furchte einsam und allein durch eine mackellos unberührte weiße Fläche, keine Schiene, keine Weiche hinderte den erstaunten,
weit hinschweifenden Blick. Die Lokmannschaft einer dampfend- abseitsstehenden "Maffei- Pazifik" schaute interessiert und verwundert unserm dahinschleichenden schneeverkrusteten Zuge nach.
Desgleichen blickten auch eine Frauen- und Männergruppe, die eingeschneite und verwehte Weichen ausschaufelten, zu unserem Zug auf. Aber sonst- über dem gesamten Bahngelände eine lähmende Stille,e
ine unwirklich weiße Leere. Was war seit diesem zehntätigen Schneefall geschehen ? Der Eisenbahnverkehr, ob dampf- diesel- oder elektrisch betrieben, wurde im rieselnden Schnee,im tobenden Sturm mit
oft meterhohen Verwehungen langsam aber unweigerlich zum Erliegen gebracht. Es gab kaum noch fahrende Züge und dann nur solche, mit ungewöhnlich langen Verspätungen, viele Züge fielen ganz aus. Unser
Zug war einer der ersten und wenigen,der "nur" mit halbtägiger Verspätung sein Ziel erreichte. Gewarnt durch diese abnormen Verhältnisse, wurden wir aber doch überrascht, ja völlig überrumpelt. Es
stand also der Beginn dieser Lokomotivsafari unter keinem guten Stern. So wurde auch die geplante Weiterfahrt nach der Stadt Pitesti durch nicht alltägliche Ereignisse stark überschattet. Der
Kopfbahnhof mit großer Querbahnsteighalle drohte von einer ungeheuerlichen Menschenmasse aus den Fugen gedrückt zu werden.
Bahnsteige und Halle,sie waren angefüllt und vollgestopft von kaum beweg- und verschiebbaren,erregt diskutierenden Menschen. Fassungslos starrten wir in diesen Aufruhr und begriffen nicht was hier vorging- kaum daß wir es wagten, unseren Zug zu verlassen. Dieses Heer von schwarzen Pelzmützen verschlug uns förmlich den Atem. Gleich einer Gewitterwolke schlug uns ein undurchdringlich heftiges Gezetter mit unterirdischem Grollen, in dem tausendfach Fragen und Antworten sich zu einem unentwirrbaren Chaos von rumänischen Lauten verfilzte entgegen. Wir fassten uns ein Herz und einander die Hände und mussten nun wohl oder übel in diesen brodelnden Hexenkessel von Masse Mensch hinabsteigen. Mir schwante nichts Gutes. Vorerst galt es, sich nach einem Fahrkartenschalter "durchzuschlagen". Dieses war das richtige Wort für einen "Gang" der mir unvergesslich bleiben sollte. In quwalvoller Enge, kaum des Atems mächtig, eingekreist und eingekeilt inmitten einer Herde in der nur Urinstinkte walteten, drängten und schoben jeder gegen jeden. Auch machten Haufen und Gruppen zufällig zu Stoßkeilen vereint, Front gegen alles was sich da in die Quere stellte. Mit dem Mut der Verzweiflung wurde geschoben gehoben, wurde getrampelt gestrampelt, gezerrt und geplärrt, geflucht, geheult und geschimpft. Wütende Männer, weinende Frauen, schreiende Kinder, stoßende Koffer, würgende Säcke, zappelnde Bündel- alles zusammen schob und drängte nach Zügen die nicht vorhanden, nach Zügen die nicht gingen und nicht kamen. Und inmitten in diesem Gewühl traf es mich wie ein Blitz: Mein Bruder war weg ! Verschwunden, fortgerissen, weggespült in diesem Strudel außer Rand und Band geratenen Menschenmassen. Schlagartig änderte sich diese, bis dahin schon kaum zu ertragende Situation. Allein dahintreibend, sah ich mich im Handumdrehen einem kalten, unfreundlich- fremden, ja feindselig boxend- stoßenden Gewühl wild fremder Menschen ausgeliefert.
Mir wurde unheimlich zu Mute, dieses war wirklich kein Spaß mehr. Dieses zweck- und sinnlos erscheinende Geschiebe, wurde zum atemberaubenden Gewühle,e rwuchs sich zu einem Alpdruck, zu einem angsterfüllten, alles lähmende Trauma. Wie und wo in aller Welt sollte ich in diesem strudeldurchwogten Meer von Pelzmützen,di ejenige meines Bruders finden ? Und ich frug mich ununterbrochen und von tausend Ängsten gepeinigt, warum die seine nicht knallrot sei ? Doch das half alles nichts, dieses brandende Getobe, diese widerspenstige Wirklichkeit ließ alle Hoffnung auf einen guten Ausgang dahinfahren- mir wurde hundeelend. Besaß, doch der Entschwundene außer dem Geld auch alle meine Papiere, einschließlich dem Paß und dieses aus vermeintlich praktischen Gründen, da ich ja der Landessprache kaum mächtig. Diese Maßnahme freilich, kostete mir zusätzlich noch den letzten Rest an Nervenkraft. Alles begann ich zu hassen- mich selbst, meine ganze Umgebung, das ganze Volk hier- auch die Dampflokomotiven. Wer hätte je gedacht, daß gerade auch diese mir einen solchen Streich spielen würden. Das Steuer endlich in die Hände nehmend, begann ich zielbewust mit Aufbietung aller Kräfte, kämpfend, strampelnd und rudernd in Richtung Fahrkarten- Schalterhalle gegen den wühlenden Mahlstrom zu schwimmen. In diesem strudelnden Treiben, geriet ich abermals steuerlos an zwei Tafeln. Mit todmüden aufgerissenen Augen und leerem Blick starrte ich auf blinde Zahlen und Nummern. "Alles wertlos" -hörte ich sagen- "es fährt kein einziger Zug"- wir haben Notstand! Ja es sah so aus, als stünde ein neuer Krieg vor der Tür. Angst und brennende Sorge um meinen Abtrünnigen, trieben mich auf`s Neue weiter und meinem Bruder erging es wahrscheinlich nicht anders. Mit irrendsuchendem Blick, arbeitete ich mich an die Schalterreihen, wühlte und quälte mich von Haufen zu Haufen von Schalter zu Schalter, doch alles vergebens.
Verzweiflung brachte mich an den Rand des Ertragbaren. Mit einem letzten Aufgebot geriet ich in einen Seitenraum und siehe, am vorletzten Schalter, ich wollte meinen Augen keineswegs trauen, gewahrte ich den Vermissten. Die Fahrtausweise zur "Weiterfahrt" wurden ihm gerade abgestempelt und hinter ihm ein Riesenhaufen schiebender und drängender Menschen, sie hatten alle unrasierte, hagergelbe, zerquälte Gesichter. Was war das doch für ein Wiederfinden! Kaum fassbar, oder hatte da noch "Jemand " die Hand im Spiele? Obwohl ja die Fahrkartenschalter unser Ziel sein sollte, blieb dieses Wiedersehen unter solch chaotischen Verhältnissen für mich nach wie vor eine recht seltsame Angelegenheit. Die Spannung ließ nach, der seelische Druck entwich und mit ihm der Rest meiner Kraft. Erschrocken sahen wir uns an und dachten das Gleiche: "Und das alles wegen diesen vermaledeiten Lokomotiven". Ja,eine Lokomotivsafari hierzulande und dazu unter solchen Umständen grenzt bereits an Tollkühnheit. Nun wieder zusammen, welch wohltuende Tatsache nach diesem für mich so dramatischem Intermezzo, strebten und drängten wir wieder zurück zu den Bahnsteigen. Hofften wir doch, daß irgendwann einmal ein Zug auch in jene Richtung fahren würde die mit unserm Ziel übereinstimmte. Wir wussten es ja bereits: Die Bahnsteige befanden sich ebenfalls in einem Belagerungszustand der alarmierende Ausmaße hatte. Tausende Wartender, drängten schoben und standen enggepresst, verstellten mit ihren Bündeln und Gepäckhaufen jeden nur erreichbaren Platz. Man hatte den Eindruck, das ganze rumänische Volk sei hier auf diesen Bahnsteigen versammelt, um auf Züge zu warten. Von diesen standen auch einige da, doch niemand wusste wohin und wann diese je fahren würden. Es gab nirgendwo Auskunft. Kein Schaffner, kein Eisenbahner, keine Bahnbeamten bekam man zu Gesicht.
Es gab nur das unpersönliche Gekrächze einiger Lautsprecher, deren Befehle, Weisungen oder Anordnungen in diesem Menschengetobe spurlos untergingen. Vielleicht war das die ordnende Hand, das hilfreiche und organisatorische Eingreifen der Bahnverwaltung? Es wurde dem geduldigen rumänischen Volk aber auch wirklich viel zugemutet. Immer häufiger entrangen sich zornige, ja wilde Ausrufe, auf deren Wiedergabe wir hier lieber verzichten möchten. Doch einer ist mir noch besonders im Ohr und er spiegelt diese turbulenten Zustände treffend wider: "Zum Teufel mit dieser Eisenbahn! - wieviel Tage soll das hier noch dauern? Wenn das so weiter geht, sterben wir hier mit Weib und Kind am Bahnsteig" ! Man frug sich, wie es eigentlich bahn- und verkehrstechnisch zu einem solchen Zusammenbruch kommen konnte. Sicher wuchsen der Bahnverwaltung hier und im Lande diese abnormen Schwierigkeiten einfach über den Kopf und sie tat bestimmt alles, um dieser Lage Herr zu werden. Aber trotzdem hatte man das dumpfe Gefühl, hier geht alles drunter und drüber und das hochgepriesene Improvisieren und Organisieren schien eine weitgehende Unbekannte zu sein. Vielleicht erstickten obige Eigenschaften in einem Wust von Verordnungen, Befehlen und Erläßen die sich in einer solchen Zwangslage womöglich gegenseitig aufhoben und blockierten. Zu all diesem sagte mein Bruder: weist du, das hier ist eben echt rumänisch, sie können es einfach nicht besser- aber die bringen das einmal irgendwie und irgendwann in Gang- nur braucht man hier viel Geduld und sehr viel Zeit und das geht natürlich auf Kosten der rumänischen Bevölkerung. Man muß sich hier halt ganz gehörig auf diese südländische- balkanesische Denk- und Arbeitsweise einstellen- krass formuliert klingt das so: Wenn`s schon heute nicht geht, dann vielleicht morgen oder übermorgen.
Wir spurrten und schoben also weiter, bahnten uns einen Weg durch dieses maßlose Gedränge und gelangten so an die Spitzen der wenigen, still und stumm dastehenden Züge, erhofften wir wenigstens hier, irgentwie gültige Auskunft zu erhalten. Doch diese waren des öfteren leer, ohne Zugbespannung. Aber einige Wagenreihen oder Züge hatten Diesel- oder Dampfloks als Traktion, einen Zug fanden wir mit Dampf- und Diesel als Zugmaschinen. Diese Diesels waren die nun schon sattsambekannten Co+Co Standart Baureihe mit zwei elektr. Triebgestellen und die Dampflok die ebenfalls jedermann geläufige Baureihe 230, Achsfolge 2C, dem "Rumänischen Mädchen für alles". Von der mächtigen 142-er, Achsfolge 1D2 war nichts zu sehen. Es sei hier auch gesagt, daß im Zuge der Vereinheitlichung des Lokomotivparks und der beginnenden Dampfbetriebseinstellung, es in der rumänischen Loklandschaft sehr öde und eintönig geworden ist. Aber vorläufig gab es noch die "deutsche P8" die gute Altbewährte. Es standen da auch einige Lokmänner in ihren Führerhäusern und schauten lässig und ruhig in diese aufgeregte Menschenmasse. Bereitwilligst gaben sie auch auf die ungezählten und drängenden Fragen Auskunft. Nein, hieß es von oben, dieser, unser Zug fährt bestimmt nicht nach Ploesti, auch nicht nach Buzau- wir fahren vielleicht nach Rosiori, genau wissen wir das aber auch nicht. Wie sagten sie? sie wollen nach Pitesti? Ja da müssen sie rechts hinüber zu den andern Bahnsteigen, vielleicht haben sie dort mehr Glück! Nach unendlicher Mühe und Qual erreichten wir die besagten Bahnsteige, aber auch dort erfuhren wir nur Unbestimmtes. Entschuldigen sie, sagte der schwarzgelockte Heizer der gerade das roträdrige Triebwerk seiner blitzblanken 230-er ölte- wir wissen ja selbst nicht wohin die Reise geht!. So ging das hin und her von einem zum andern Bahnsteig sich wühlend, bis wir nichtmehr konnten und einfach auch nichtmehr wollten- wir waren fix und fertig.
Dann rafften wir uns nochmal hoch, es sollte das letztemal sein, standen dann wieder auf neuem Bahnsteig eingekeilt inmitten einer wild aufgebrachten Menge und wir hörten den Namen Pitesti. Hier steht er doch, der Zug! der soll hinfahren, und wir wollen alle mit- mir wurde seltsam vor den Augen- und da sollen wir hinein? Nur keine Sorge,ihr bekommt alle Platz, immer nur hereinspaziert! und es begann ein gnadenloser Kampf, ein Handgemenge,in dem alle "Mittel" eingesetzt wurden. Wir mußten uns also kämpfend Einlaß erzwingen und fanden in der Tat in einer Ecke auf harter Bank noch Platz. Um 18.20, es war bereits dunkel, setzt sich dieser vollgestopfte, völlig überladene Personenzug tatsächlich in Bewegung- ja wir fuhren! Seit unserem gemeinsamen Aufbruch zu dieser ungewöhnlichen Reise waren 12 h verstrichen, die zurückgelegte Strecke betrug 180 km, eine be-"achtliche" Verkehrs- leistung, man muß sich in diesem Land bescheiden und ich hielt mich von nun an, an die weisen Erfahrungen meines Bruders, der ja die rumänischen Verhältnisse seit Jahrzehnten kennt. Ja, und jetzt fuhren wir wirklich, das rollen der Räder unter unsern müden Füßen löste Spannung und unendliche Müdigkeit ließ unsere abgekämpften Körper in unsere Ecke zusammensinken, wir schliefen sofort ein- unterdessen ratterte der Zug in eine schneehelle Nacht. War es das Holpern des Wagens oder war es das Knurren des Magens? Wir wurden nach kurzer Zeit hellwach. Unser eingesacktes Essen kam uns in Sinn und sogleich machten wir uns über die eingewickelten Brote- was hatten wir doch für einen Hunger- vor 10 h aßen wir den letzten Bissen! Während wir unser trocken gewordenes Brot kauend hinunterwürgten, frugen wir uns,wieviel Menschen hier in unserm Wagen und im ganzen Zug sitzend, stehend und hängend transportiert wurden. Hierbei besah ich mir heimlich und voller Besorgnis den "Inhalt" unseres "Waggonbehälters"- unser mitfahrendes Volk.
Beklemmung beschlich mich über diese Art von Menschentransport. Die auf den Bänken Zusammengeschobenen hatten Sitzende auf ihren Schößen, die Stehenden standen eng verpackt, wie senkrecht gestellte Ölsardinen, sie schwankten in jeder Kurve wie ein Stück Mauer und die Hängenden hingen mit eingezogenen Gliedern und Köpfen als lebende Fracht in den Gepäcknetzen. Kein Gang, kein Raum zwischen den Bänken, keine Nische kein Podest war frei, alles vollgepfärcht mit Menschen, ein übelriechender Viehkral war das richtige Wort. Die WC`s weit offen, es roch durch den ganzen Wagen, sie glichen mit ihren Hineingepressten einem Menschengefängnis ohne Gitterstäbe.Wir hatten das Gefühl, Mithaftierte eines Gefangenentransportes zu sein. Und doch- diese einfachen Menschen mit ihrer oft offen- naiven,gut- mütigen Gesichtern, ertrugen die Unbill dieser Reise mit stoischem Gleichmut, der Bewunderung erheischte. Eine glaubwürdige Erklärung hierfür gab mir wieder mein Bruder: Kannst mir glauben,di e sind derlei Dinge gewöhnt! Dieses harte Entbehrungen ertragende Naturvolk kennt die hochzivilisierte Welt mit ihren für uns schon so selbstverständlich erscheinenden Annehmlichkeiten praktisch kaum, desshalb weis man auch nicht ob man diese Menschen hier, bedauern oder beneiden soll. Natürlich blieben diese Eindrücke nicht ohne Wirkung. Grübelnde, nachdenkliche Gedanken konnten nicht ausbleiben. Wohl kaum überbrückbare Gegensätze zwischen den Völkern prägten die Wirklichkeit. Warum ist das so, muß das so sein? Solcherart Betrachtungen führen natürlich unversehens in weltpolitische Entwiklungsfragen, die es natürlich seit eh und je gegeben hat und weiterhin geben wird,di e aber heute bei den unterschiedlichsten Regierungssystemen und der berechtigten Sehnsucht der Völker nach besserem, menschenwürdigem Leben,kurz, nach einem höheren Lebensstandart, besonders krass und immer deutlicher zu Tage tritt.
In diesem Zusammenhang muß noch eine besondere, aber weit verbreitete Tatsache Erwähnung finden. Im heutigen Zeitalter des modernen Tourismus, wo nun schon aus übertriebenen Reise- und Erhohlungssüchten, die entferntesten Erdenwinkel aufgesucht werden, ist es im Durchschnitt oft recht erstaunlich, wie wenig die gleichen Leute von dem Lande wissen, in dem sie kurz zuvor drei oder vier Wochen die sorgenfreien Ferien verbrachten. Das gilt zum Beispiel auch für Rumänien, das ja bekanntlich noch zu Europa gehört. So finden sich an der Schwarzmeerküste oder in den Karpaten immer mehr Touristen ein, von denen aber der geringste Teil, kaum vom "wirklichen" Rumänien etwas weis oder aber mit oder ohne Absicht diese Tatsache nicht zur Kenntnis nimmt. Sie sind manchmal weit davon entfernt, die Sorgen, die Nöte des harten rumänischen Werktages zu empfinden oder wennmöglich die ausgelassenen Freuden einer Bauernhochzeit, in der oft das ganze Dorf eingeladen wird, zu kennen- oh ja, die Rumänen sind in Wirklichkeit ein heiteres, liebenwürdiges Völkchen. Doch im rauhen Alltag versiegt zu leicht der Frohsinn und das Lächeln, wie z.B. hier in unserm Wagen. Das ist ein Stückchen von der Frohn, wenn auch in etwas gepresster, komprimierter Form, die natürlich nicht als Regel gelten kann. Aber beachtliche Vorgänge dieser Art und das zu den verschiedensten Anlässen, besonders aber in den Verkehrsmitteln wie Bus und Straßenbahn bei Beginn oder Ende der Arbeitszeit,d as kann man hundertfach erleben, da heißt es, immer wieder, sich zusammennehmen, ja nicht die Nerven verlieren. Unterdessen fuhr unser Zug mit seiner illustren Menschenfracht weiter durch die Nacht. Es wummerte die Diesellok und die Auspuffschläge unseres Vorspannes, einer 230-er hallten weiterhin durch das winterliche Land.Völlig übermüdet erreichten wir um 21 h die Stadt Pitesti.
Im großen,nach westeuropäischem Stil eingerichteten,nur für Gäste mit "harter" Währung zugänglichen Hotel "Muntenia", erhielten wir auf Grund meines grünen, deutschen Reisepasses, ein schönes Doppelbettzimmer.Wir wuschen uns, legten uns zu Bett und schliefen sogleich ein- aber ein Alptraum geisterte durch unser Zimmer. Aufgeschreckt, sitzend und schwitzend befand ich mich nun wieder im stillstehenden Bett- die Geisterfahrt war zu Ende. Verschwunden die Dampflok, die vergebens versuchte unser Bett vom Fleck zu bringen, verschwunden die Heerschaar von Pelzmützen, die auf unsern dahinstürmenden Doppelbettzug aufspringen wollten. Nun, nur noch lähmende Stille, das Zimmer war dunkel und leer. Dann erwachte auch mein Bruder. Seine ersten Worte an mich: "Du bist mir ein nobler Europareisender"! hast ja ganz schön herumgewirtschaftet!, dir scheint ja diese ganze Eisenbahngeschichte gar nicht zu bekommen! Er sprachs und hatte wieder einmal recht. Immer noch müde und zerschlagen erwartete uns ein neuer Tag.