Rumänienreise 1968
(Reiseskizzen aus Ungarn und Rumänien)
Viel Zeit ist nun seit dieser Fahrt verstrichen und doch haften ihre Eidrücke noch lebhaft im Gedächnis. Über das Persönliche hinaus dürfte dieses ereignisreiche Unternehmen auch auf allgemeines
Interesse stoßen. Insbesondere werden Eisenbahnfreunde diesen Zeilen mit besonderer Aufmerksamkeit folgen. Galt es doch in ein Land zu fahren, in dem Dampflokomotiven noch "in sind" ein
alltäglicher Anblick war, wo es also noch wirkliche Lokparadiese gab und vor allem wo die "142-er" noch fuhr. Das Datum zur Abfahrt war der 24. August. Es stand schon lange vor dem erregenden
Ereignis fest (Einmarsch in die CSSR), das wieder einmal Europa und die Welt erschütterte und meine Fahrt auf das ernsteste gefährdete. Der Reiseplan sank dementsprechend auch ins Hoffnungslose. Wie
man vermuten kann, beginnt diese Geschichte interesant zu werden! Also- Steigen wir trotz allem in useren Zug, zur großen Fahrt, zum Lokomotivunternehmen nach Rumänien. Drei Tage nach der Nacht vom
21/22. August, an dem das Drama in der CSSR begann, sollte mich der "Johann Strauß" nach Südosten, nach Wien entführen. Wie verlautbar wurde, bestanden Pläne am darauf folgenden Freitag/ Samstag,
Rumänien das gleiche Schicksal zu bescheren. Dieses war der 24.August- mein Reisetag. An jenem Morgen starrte uns aus der noch druckfrischen Zeitung (FAZ), die ich im Treppenhaus in Händen hielt,
eine neue unheildräuende Kurzmeldung aus Rumänien entgegen. Lähmende Stille- wortlos ergriffen wir behutsam die beiden schweren Koffer und schlichen wieder zurück in unsere Wohnung. Mit dem bereits
bestellten Taxi fuhren wir zum Bahnhof, um dort vielleicht letzte Informationen zu erhalten, was uns nicht gelang.
Der Johann Strauß fuhr ohne mich ab und ich ging wieder ins Büro. Es kam der nächste Samstag, der 31.August. Erneute Mitteilungen über Truppenzusammenziehungen an der rumänischen Grenze. Voller Sorge verabschiedete ich mich an diesem Morgen von meiner besseren Hälfte. Wollte ich es also doch wagen und diesmal allein, trotz dieser keineswegs einladenden Verhältnisse, abermals in meine Heimat nach Siebenbürgen in Rumänien zu fahren. Der schöne, frohstimmende Fünfwagen- Triebzug der ÖBB fuhr langsam aus der Halle in einen grauen, sich mit bösen Ahnungen anfüllenden Regentag. Es war 7.10 Uhr. Um 15.00 Uhr stieg ich in Wien in den "Orient Express" und kam bei Dunkelheit um 19.40 Uhr in Budapest an. Es regnete immer noch. Unser Wagen, der letzte des Zuges, kam draußen zwischen nassen Bahnsteigen und Schienen zu stehen. Die Begegnung hier mit einem ungarischen Eisenbahnfreund fand inmitten eines Menschengewühles statt. Später standen wir allein auf dem Bahnsteig und unter einem großen schwarzen Regenschirm entspannte sich folgender Dialog: Wie können sie es nur wagen, in einer solchen Situation diese Reise anzutreten ! Wissen Sie denn nicht, daß noch vor drei Tagen die ungarische Grenze gesperrt war!, daß das Siebenbürgische Randgebiet von unsern Truppen besetzt ist und daß sich ungarische und bulgarische Verbände mit russischen Einheiten bereits Gefechte lieferten! -ja, daß von den ersteren viele desertierten! Ich sah in zwei helle, blitzende Augen und war keines Wortes mächtig. Dann weiter: Bitte packen Sie dort unten schnell ihre Koffer aus, hören sie Transistoren- Funk und fahren sie so schnell sie können wieder nach Haus- wenn es nicht mehr anders geht, dann über Jugoslawien! Dieses Bahnsteiggespräch mitten im Regen, mit einem Herrn, den ich vor einer halben Stunde persönlich noch nicht kannte, blieb nicht ohne Wirkung, es saß und drang unter die Haut.
Mit einem Paket voll Eisenbahnbücher stand er dann draußen. Im aufjaulenden nahen Dieselgeheul verabschiedeten wir uns. Der Zug eilte durch die Nacht und Regen der rumänischen Grenze entgegen. Die Grenzorte Jököshaza und Curtici wurden pünktlich 23.42 bzw. 0.55 h (OEZ) erreicht. Alle Kontrollen und Formalitäten erfolgten freundlich, schnell und reibungslos, ohne Kofferöffnen. Nichts deutete auf irgendwelche kriegerischen Ereignisse hin. Bodenlos finsterer Nebelregen verhüllte ohnehin Nah und Fern. Das übliche aber, wurde wie mir schien, diesmal besonders gründlich befolgt. Gepolter auf den Wagendächern, Lichtblitze um die Drehgestelle und das Absuchen der von den Reisenden geleerten Abteile, deuteten auf das in der Luft Hängende besonders hin. Monotones Dieselgeräusch mit regelmäßigen Warnpfiffen (schrankenlose Bahnübergänge) begleiteten den weiter rasenden Zug. Tiefhängendes Gewölk mit wallenden Nebelfetzen über Wald und Gebirge. Nur langsam dämmerte der Tag herauf. Weiße Wolkenbänke glitten an blaufernen Höhen vorbei. Die 80 km lange Gebirgsmauer der Südkarpaten kam schemenhaft in Sicht. Genau nach Fahrplan entstieg ich in Brasov (Kronstadt), wo meine Geschwister warteten, dem Zug. Es war 8.48 Uhr. Eine 26 Stundenfahrt mit ihren rund 1 800 km war zu Ende. Die nächsten Tage sollten mich belehren,das alle meine Informationen und Besorgnisse scheinbar nur lauter Trugbilder seien. Was ich sah, las und hörte, war friedlichster rumänischer Alltag und meine Verwandten und Bekannten konnten das nur bestätigen. Meine Frage: ja in aller Welt, lest ihr keine Zeitung und hört und seht ihr kein Fernsehen und Radio? Doch, doch, natürlich, von größeren Unruhen hätten sie schon gehört, aber dies sei doch wohl reichlich übertrieben. Im übrigen sei ich von der langen Fahrt doch abgespannt und etwas mitgenommen. Damit war für sie die Sache abgetan.
Da konnte man sich nur die Augen reiben und immerzu staunen, in welch einer Welt lebten eigentlich hier diese Menschen? Zur Eingewöhnung mußten einige Tage verstreichen, ehe die Dampflok- Fotoreise beginnen sollte. Manches ging mir dabei durch die Sinne und nicht zu verscheuchende Ahnungen umwölkten die Stirn. Wenn ihr meint, daß alles eigentlich und beinahe in trefflicher Ordnung sei, warum zögern wir da noch? Machen wir uns auf die Reise- so wie vor Jahren nach bewährtem Muster, was soll da schon schief gehen? Wir haben ja Erfahrung, nehmen wir doch auch alle unsere "Papiere" mit, mit allem Drum und Dran und Bruder Oskar spricht doch perfekt rumänisch! Damit war der ganze Themenkreis durchdiskutiert. Der Einwand aber, daß es wohl doch ganz gut sei, wenn wir im Eisenbahnministerium eine Fotoerlaubnis erwirken sollten, scheiterte daran, daß ein "wildfremder Mensch" , bar jeder Beziehungen, niemals ein solches Papier bekäme. Und wie konnte es natürlich anders sein, bei diesem Stand der Dinge blieb auch ein bohrender Stachel zurück. Mit dem Mut des Naiven und einer beträchtlichen Portion Courage stürzten wir uns dann in ein waghalsiges abenteurliches Unternehmen. Und hier nun zwei erste Proben auf unser Vorhaben. Am nächsten Tag in Kronstadt an einem Abzweig längs der eingleisigen Hauptstrecke der CFR. Diese Episoden, die für rumänische Verhältnisse bezeichnend sind und die trotz ihres unterschiedlichen Ausganges mich in unserem Vorhaben bestärkten. Auf diesem Nebengleis eine 1C1 Dampflok-Reihe 324, ungarischen Ursprungs, in Warteposition. Ein Soldat als Heizer, putzte in sich versunken am Kessel. Ein gutes Bild dachte ich und schon ohne Unruhe und Hast dabei, einen geeigneten Standpunkt zu suchen. Doch schon hatte mich der wachsame Lokführer erspäht. Hallo! was machen sie da! dabei eine helle Wasserflasche in der Hand haltend.
Etwas erschrocken aber festen Schrittes ging ich aufs Führerhaus zu und reichte dem finster dreinblickenden Gesicht meinen grünen Paß. Der Lokführer blätterte hin, blätterte her und zusehend hellte sich das Gesicht auf. Foarte bine! Sehr gut!- mit diesen Worten überreichte mir die nun freundliche Miene des noch jungen Lokführers den Reisepaß. Er war offenbar sehr zufrieden über das Ergebnis,ich war es auch,die Aufnahmen waren bereits in der Kamera. Beim gehen. Er grüßte freundlich und lachte über das ganze Gesicht. Ja, ja rief er noch hinterher: Man höre von Germany- West nur Gutes! La revedere! Auf Wiedersehen! Unbeeidruckt von dieser Szene, polierte der Heizersoldat unentwegt am Kessel weiter. Mein Neffe, der aus einiger Entfernung zusah sagte: Na schaust du, es geht doch ganz gut. Eine halbe Stunde später auf dem Bartholomäus- Bahnhof, ebenfalls in Kronstadt. Dort erblickten wir beim Rangieren eine Dampflok gleicher Bauart wie vorher. Wie es aussah, wandern diese großen Schlepptenderdampfloks bereits in untergeordnete Dienste. Hier entwickelte sich nun Folgendes: als die Lokmannschaft doch bemerkte, das hier etwas fotografiert werden sollte, da wurde dieses Ereignis mit " Hallo" freudigst begrüßt und sie waren ganz begeistert von diesem einmaligen Zufall: Natürlich wollten sie Bilder haben, die wir mit Handschlag und fester Zusage bekräftigen mußten. Wir beide, mein Neffe und ich waren ebenfalls ganz "aufgeräumt über so viel Überschwang". Kein Mensch frug mich hier nach "Dokumenta". Die strengen Order von Partei, Bahn und Polizei schienen nicht existent. In tiefer Nacht, noch vor dem Aufbruch nach Bukarest, wurde ich von meinem kranken Schwager geweckt: Hörst du mich? wach auf!- ich wollte dir nur sagen, geht zu den Behörden wenn ihr in Bukarest seit,v ersucht es, es ist besser, geht hin! Mit dieser eindringlichen Mahnung ging er langsam wieder in sein Schlafzimmer.
Er kannte ebenfalls die rumänischen Praktiken nur zu gut und mit ihnen die Unberechenbarkeiten die hierzulande gang und gebe sind. Im Morgengrauen fuhr unser Schnellzug von Kronstadt mit der neuen 8 000 PS Elektrolok 060 in rascher Fahrt hinauf in die Berge. Er überquerte den über 1 000 m hohen Predealpass, durchfuhr das Prahovatal mit seinen ragenden Karpatenbergen und wandte sich dann in sausendem Gedröhn Bukarest zu. Zuvor aber erfolgte in Cimpina Lokwechsel, da hier die Leitungsdrähte vorläufig ihr Ende fanden. Zwei der schon sehr häufigen Dieselelektroloks 060 von je 2 100 PS machten an unserm Zug fest. Die E- und Dieselloks verdrängten auf der Predealstrecke bereits die Dampflok BR.142. Die 166 km lange Strecke Kronstadt- Bukarest ist nun zweigleisig und seit 1970 elektrifiziert voll im Betrieb. Langsam lief unser Zug in Bukarest- Nord ein. Mit gemischten Gefühlen strebten wir durch das Bahnhofsgetriebe dem Ausgang zu und lenkten unsere Schritte auf das in der Nähe stehende, weithin sichtbare Eisenbahn- Ministerium. Beunruhigend langes Warten. Uns schien, als seien wir auf einer Militärbehörde. Nur Menschen in Uniform. Ahnungsvolle Gedanken begannen sich einzunisten. Die Hoffnung, auf irgend einen Schimmer eines guten Ausganges unseres Vorhabens hatte ich schon längst fahren gelassen. Endlich erschien ein gut gekleideter Herr in Zivil. Raschen Schrittes kam er auf uns zu und stellte sich als hoher Beamter vor. Schnell und sicher brachten wir unser Anliegen vor. Hierbei überreichten wir vier Originalschreiben, zwei davon in rumänisch, einige Eisenbahnschriften und einen Bildband über Dampflokomotiven. Er sah, las und schaltete: Meine Herren, sie müssen verstehen, eine solche Angelegenheit kann ich nicht allein entscheiden, kommen sie in drei Tagen wieder, dann werden wir weitersehen! Ihre Unterlagen werde ich unter Hinzuziehung meiner Vorgesetzten eingehend studieren.
Versuchen sie aber keineswegs zu fotografieren,sie könnten unter Umständen in ganz erhebliche Schwierigkeiten geraten. Er verabschiedete sich rasch und verschwand mit meinen Unterlagen unter dem Arm. Alleingelassen schauten wir beide uns fragend an. Die ersten Worte kamen von meinem Bruder: Schaust du, so geht das hier- ich habe es dir ja gesagt, das wird nichts! Zerknirscht und ohne Hoffnung gingen wir wieder zum Bahnhof. Wir setzten uns in die Querhalle mit Blick auf die Kopfbahnsteige und bestellten zwei Essen. Die Weiterfahrt nach Pitesti, wo wir noch einige Besuche vorhatten, erfolgte erst in zwei Stunden. Züge fuhren ein, Züge fuhren aus. Einige von ihnen entfernten sich mit mächtigen, hochgewirbelten Dampf- und Rauchwolken. Welch herrliche Bilder lösten sich da fotografisch ungenutzt über dem Bahnsteiggelände auf. Dann aber hielt mich nichts mehr zurück. Die Kamera hing ich mir über die Schulter und ging einfach auf die Bahnsteige hinaus. Mein Bruder schaute mir mit kummervoll vielsagendem Blicke nach. Eben fuhr ein Zug mit einer 4-zyl. Maffei- Pazifik auf dem gegenüberliegenden Bahnsteig ein. Langsamen Schrittes schländerte ich hinüber. Unterdessen machte sich der ausgestiegene Heizer an der elektrischen Leitung zum großen Kopfscheinwerfer auf der vorgewölbten Rauchlkammertür, zu schaffen. Vertieft in seine Arbeit drehte er mir den Rücken zu. Ein großartiges Motiv, das mehrere Aufnahmen verdiente. Doch ein Klopfen auf meiner Schulter, unterbrach jäh meine Tätigkeit- ich drehte den Kopf und und erbleichte- ein Milizsoldat stand hinter mir. Nur noch ein Gedanke durchzuckte mein rasend arbeitendes Hirn: Jetzt ist alles aus vorbei! Eine unmißverständliche Handbewegung bedeutete, ihm zu folgen. Gang zur Milizstation, zur Bahnpolizei. Ein Fragen und wieder Fragen, ein regelrechtes Verhör.
Der Paß wurde rundum geblättert und telefoniert wurde am laufendem Band. Nach etwa 60 heißen Minuten entließ man mich mit harten Vorhaltungen und sehr ernsten Mahnungen. Hundeelend und doch insgeheim froh über diesen glimpflichen Ausgang, stolperte ich hinaus auf den Bahnsteig- ich brauchte viel Luft. Das Kameraöffnen wurde von den mit Akribie arbeitenden Sicherheitsbeamten dann doch vergessen, der Film war gerettet. In der Querhalle saß mein wartender Bruder noch am gleichen Tisch- von diesem Intermezzo erzählte ich kein Wort. Und wieder fuhren Züge davon und andere glitten langsam an ihre Bahnsteige. Die Kamera blieb zugeklappt. Das Fotografieren wurde mir gründlich ausgetrieben. Dann sahen auch wir, wie ein Zug ganz vorsichtig an unsern Bahnsteig hereingeschoben wurde. Wir bezahlten unser Essen und machten uns auf den Weg zum vordersten Wagen unseres langen Zuges, und da erkannte ich, daß da etwas weit über die Wagendächer hinausragte. Beim Weiterschreiten begann ich zu stutzen! das wird doch nicht- ich hielt die Luft an- das wird doch nicht etwa eine 142-er sein?- In der Tat, da stand wirklich einer dieser Riesen aus jener nun schon berühmt gewordenen Baureihe. Auf diesen Augenblick hatte ich schon lange gewartet. Alles, aber auch alles- auch das was sich noch vor einer Stunde ereignete, hatte ich beim Anblick dieser Maschine vergessen. Mein Inneres schlug hohe Wellen- was ist das doch für eine Lokomotive! Von uns mitgebrachte Fotos, verwickelten die Lokmannschaft in ein Gespräch: Hallo- Ihr Männer da oben- kennt ihr diese zwei? Ein genaueres Hinsehen auf den hochgereichten Bildern. Sie wurden vor zwei Jahren hier gemacht. Es ist ebenfalls eine Lok- Mannschaft auf einer 142-er." Ja natürlich, die kennen wir, sie sind aus Craiova, wir sehen uns aber selten", kam es von oben herunter.
Wir erwiderten: "Schade, sonst hätten wir Euch diese Bilder mitgegeben". "Ihr könnt aber auch solche Bilder bekommen, sie kosten nichts". Der ernst dreinschauende Lokführer bekam Interesse, stieg von seiner hohen Führerkanzel und folgte uns ins nahe Abteil. Dort erklärten wir unsere Mission, wiesen uns aus und zeigten ihm ebenfalls eine 142-er und eine "Pazifik" in einem Eisenbahnheft. Er war sichtlich erstaunt und besonders erfreut, daß ich aus Westdeutschland sei. Das große Mißtrauen war verflogen, erleichtert stiegen wir aus dem Waggon und ich durfte diese Maschine von allen Seiten,mit und ohne Lok-Mannschaft fotografieren. Der Lokführer gab uns seine Adresse. Abfahrt unseres Personenzuges nach dem nur 108 km entfernten Pitesti, daß auch hier auf dieser Strecke (Bukarest- Pitesti- Craiova =250 km) immer weniger die 142-er für Schnellzüge eingesetzt wurde, der Diesel begann auch hier mit Macht die Oberhand zu gewinnen. Aber noch dampfte an unserer Zugspitze die 142.002 mit ihrem gewaltigen Auspuff und noch ertönte ihr melodisches Sirenengeheul über die Wiesen und Felder. In Pitesti richteten wir uns im Hotel Arges für einige Tage ein, wollten wir doch außer unserem Vorhaben auch noch einige Familien besuchen. Früh am nächsten Morgen wölbte sich ein südlicher Himmel mit dahinsegelnden Wolkenbällchen über einer freundlichhellen Stadt. Wir fuhren ins Lokomotiv- Depot. Unser Mann, Chef einer ansehnlichen Belegschaft, wie man dies sehen konnte, hatte gerade dienstfrei. Da genügend Zeit war, schlenderten wir zur Stadt zurück. Kurz hinter dem Depot sperrten rotweisse Schlagbäume die Straße. "Aha" dachte ich, das Motiv wird sich bald nähern, die Kamera hatte ich schußbereit! Es kam der Zug und auch gleichzeitig die Miliz und wir wurden vom herbeigelaufenen Depot- Personal förmlich eingekreist. Einer, ein Hühne von Mensch, kam mit einem meterlangen Schraubenschlüssel dahergeschaukelt.
Die Situation war bedrohlich: Paß, Dokumente, Eisenbahnmaterial- alles wurde uns abgenommen. Die uns anstarrenden Gesichter grinsten,im höhnischen Vielklang ihrer vokabelreichen Sprache und schimpften auf die nun Eingekreisten vermeintlich echten Spione. Es war für diese Menschen "die Situation" . Mit langen Schritten gings zur Bahnpolizei, der lärmende Haufen blieb zurück. Unser Begleiter, ein höherer Polizeidienstgrad, war, vielleicht aus Mitleid, höflich und gar nicht unfreundlich. Der Kanzleiraum wurde sauber gefegt und gereinigt. Man bereitete sich anscheinend auf ein langes Verhör vor. Die Dokumente, die "Beweise" lagen schön säuberlich in langer Reihe geordnet, auf dem Tisch. Bitte nehmen sie Platz meine Herren! Und nun das Folgende kurz gefaßt, das sich wie ein endloser Reigen immer wiederholte: "Warum,w eshalb, wieso, für wen?" Dann wir. Bitte, die rumänischen Dokumente meine Herren, es steht doch alles genau drin! Alles umsost! Und hier in diesem Heft, das sind doch auch ihre Lokomotiven, vor zwei Jahren hier in Bukarest aufgenommen! Es war einfach zuviel!, die drei konnten es nicht fassen. Die ohnehin schon alarmierte Verstärkung mußte schleunigst auf den Plan treten, so ging das jedenfalls nicht weiter. Nach langem telefonischen Hin und Her wurde es still und die Minuten rannen quälend dahin. Mein Gewissen erlaubte es nicht,meinem Bruder in die Augen zu sehen, wir sprachen kein Wort. Diese Falle nun, hatte ganz schön zugeschnappt! Wieder ein Anruf und wieder Stille. Dann kam ein Herr in Zivil- schnell und flink trat er ein. Die drei sprangen auf, nahmen stramm Haltung an und einer machte Meldung. Dieser Herr, gut gewachsen, grauhaarig, in vorgerücktem Alter, blickte uns zwei, aus tiefschwarzen Augen an. Knappe Vorstellung. Sein strenges Aristokratengesicht wandte sich dann sogleich dem mit unsern Unterlagen "geschmückten" Tische zu.
Er setzte sich,stellte Fragen an die promnt Antwortenden und nahm Einsicht in die "Akten". Dann stellte er Fragen an uns, die wir unbeschwert erwiderten. Das ernste Gesicht las und die schmale Hand durchblätterte immer wieder das vor ihm liegende Material. Schließlich legt er in aller Ruhe alles fein säuberlich zusammen und übergab mir das Ganze, dabei richtete er bedeutsame Worte an meinen Bruder, beinahe bescheiden und in einer schönen Sprache: "Währe Ihres Bruders Paß in der uns wohlvertrauten grünen Farbe, einer, aus uns zwei wiederum wohlbekannten Staaten, (er nannte ihre Kurzzeichen) -er machte eine kurze Pause- , nun meine Herren, dann könnten wir Ihnen auch nicht mehr helfen". Sprachs, verabschiedete sich mit Händedruck und Kopfnicken und wünschte uns weiterhin alles Gute, auch beim Fotografieren. Wir und die verdutzten Pölizisten sahen sich gegenseitig an. Kaum hatten wir Zeit uns herzlich zu bedanken. Wir verabschiedeten uns auch von den drei mit offenem Mund Zurückgebliebenen und stellten an diese die kurze Frage: "wer war dieser Herr eigentlich?" - "der Höchste unserer Stadt, General und Chef des Geheimen Staatssicherheitsdienstes", war die Antwort.ir beide waren bedient. Ich spürte einen gehörigen Knicks in meinen Knien, die Freude am fotografieren bekam nun beinahe wirklich einen entgültigen Knacks. Sollten oder konnten wir nach Lage der Dinge überhaupt noch unsern Mann im Lokdepot aufsuchen? Gebot doch nicht die Vernunft endlich mit unserm Treiben aufzuhören und Zurückhaltung auszuüben? Einmal würde ja die Sache doch schief gehen, Es fehlte also keinesfalls an herber Kritik und berechtigte Zweifel belasteten das ganze Unternehmen von Grund auf. Am nächsten Morgen lenkten zwei Unverbesserliche ihre Schritte wieder hinaus vor die Stadt, zum Eingang Lokdepot.
Alle Maschinen durfte und sollte ich auf den Film bannen. So gingen wir von Lokomotive zu Lokomotive und ich fotografierte drauf los. Der Fotoapparat funktionierte ohne Tadel und er "lief auch nicht heiß". Dabei wurde die Rollei 6/6 mit Xenotar 1:2,8 ob ihrer großen Doppellinsen nicht wenig bestaunt. Einhellig herrschte die Ansicht, mit solch gutem und teurem Apparat könne man ja nur gute Bilder machen. Hierzu noch eine kleine Episode: Tage später im Schnellzug Bukarest-Hermannstadt (Sibiu) auf der Fahrt durch den Roten Turmpass. Fahrkartenkontrolle im Seitengang. Dabei bemerkte der Konjukteur meine Kamera. Er bot mir, so unglaublich das auch klingt, 500 kg selbstgezogenen Honig. Er sei auch Fotograf und er zeigte mir eine Menge, "Familienbildchen", wir kämen auch bald an seinem Anwesen vorbei, die Bienenstöcke mit 25 Völkern könne man gut sehen! Wieder zurück zu unserm Lokdepot! An diesem durchsonnten Tag, waren hier im Lokdepot natürlich die beiden Dampfriesen mit den Betr.-Nr. 142.002 und 142.045 der Star der CFR, das beherrschende Thema. Letztere stand auf der Drehscheibe und sie konnte sich nicht genug tun in ihrer unbeschreiblichen Farbenpracht und kraftstrotzenden Majestät- ein unvergesslicher Anblick. Die andere, die 142.002 fesselte nicht minder den Blick. Sie blitzte im Glanz der Farben, mit ihrer gewaltigen Breitseite im Schatten stehend, den staunenden Fotografen an, der es niemals begreifen wird,warum solche Wunder der Lokomotivbaukunst unbedingt verschrottet werden müssen. Das "Dampflokfest" mußte notgedrungen zu Ende gehen. Der Abschied nahte und mit ihm das feste Versprechen, beim Versenden der Bilder das Lokomotivdepot Pitesti nicht zu vergessen. Ein viertel Jahr später wurde diese Zusage mit großformatigen Bildern eingelöst.
Als wir frohen Herzens von dannen zogen und immer noch staunten, wie sich dieser, für uns so verhängnisvolle Knoten so glatt gelöst hatte, sagte mein Bruder: "Siehst du, so geht das hier in diesem Lande zu", man weiß nie etwas Genaues. Zwei Tage später in Bukarest. Wieder im Eisebahnministerium. Wieder quälend- langes Warten. Dieser nun zweite zeitraubende Behördengang war nur Routine, das letzte Ausschöpfen einer uns verbliebenen Chance. An eine Fotoerlaubnis glaubten wir ohnehin nicht. Endlich kam "unser " Herr mit meinen Unrerlagen raschen Schrittes auf uns zu. Kurze Begrüßung. Eigentlich wusten wir schon, was uns der gute Mann zu sagen hatte. In gleichmäßigem Tonfall hörten wir uns die Absage an. Der kleinste Hoffnungsfunke wurde damit ausgeblasen: Sie werden es ja sicher verstehen meine Herren- bei dieser Großwetterlage- wir können keine derartigen Genehmigungen erteilen- haben wir doch unlängst gleich zwei schlechte Erfahrungen machen müssen. Diese Männer haben nun lange Zeit darüber nachzudenken- nein,e s geht nicht- es ist unmöglich. Nun war es Gewissheit, ein Entgültiges "Aus" ! Es folgte eine peinliche Stille. In meinem Innern liefen viele unfotografierte Dampflokbilder Revue. Dieser Herr sah noch eine Weile in unsere blass geworden Gesichter, als wolle er nochmals die Wirkung dieser Absage ausloten. Dann erfolgte ein tiefer Atemzug mit gleichzeitigem Heben von Augenbrauen und Schultern und heraus kam ein langgezogenes "Aber" :Aber meine Herren, wir können und wollen ihnen trotzdem helfen,e twas behilflich sein! -verstehen sie mich? Er sah wieder unsere Gesichter- wir begriffen nicht, oder noch nicht. Wurden wir doch von dieser Gratwanderung von Absage und neuerlich zweifeldem Hoffen ganz erheblich ins Wanken gebracht.
Und dann fing er an: Bitte stellen sie uns einen Zeitplan auf, die Plätze, die Sie im Dokument angaben, können Sie ansteuern, sagen Sie uns nur die gewünschten Tage mit Datum und wir werden die jeweiligen Stationsvorsteher, "Depotcheffs", von Ihrem Vorhaben noch heute benachrichtigen- genügt ihnen das? Ich konnte nicht gleich antworten, da der Mund zu weit offen stand. Aber dann: unser Herr sprach jetzt sogar gebrochen deutsch, ja, dann kam mir die Sprache wieder- es war ein Fest der Gefühle, umarmen hätte ich diesen Menschenfreund können,samt den Lokomotiven. Diese tanzten einen seltsam- befreiend frohlockenden Reigen. Mit herzlichen Dankesworten verabschiedeten wir uns und die gesamten Dokumente verblieben im Eisenbahnministerium. Die Weichen waren gestellt, das Signal stand auf Grün. Mein Bruder aber blieb skeptisch, er glaubte kein Wort. Er meinte "Du wirst schon noch dein blaues Wunder erleben", -der feine Herr hat uns ganz schön verkauft! In den nun folgenden Tagen gab es für einen Lokomotivnarren eine nicht abreißende Kette froher Stunden. Sie waren randvoll gefüllt mit ungetrübter Freude, angesichts der Erfüllung vergangener Kindheitsträume: Das unbeschwerte Betreten und Erwandern verbotener Lokparadiese. Da gab es zuerrst ungeschlafene Nächte mit zugigem Warten- brütende Hitze über, mit Menschen angefüllten Bahnsteigen- das Hineinpressen in und Herauszwängen aus überfüllten Zügen- geplagt von Durst und übergangenem Hunger- dann Stolpern und Rutschen über dunkle Schlackenhaufen und weiß-blinkend glitschige Schienen- qualmender Öl- und Kohlenrauch aus Schloten und Schächten- schießend- prasseldes Wasser aus Schlauch und Kran- ölige Lachen auf rußigen Böden und ständig und immerzu verfolgt und getaucht in Dunstwolken mit dem unvergleichlichen Geruch, dem Betörenden, der nur Dampflokomotiven umströmt.
Dieses alles ging Hand in Hand und mußte und wurde willig im Lok- Paradies erduldet, dessen Zugänge uns für kurze Zeit geöffnet wurden- die Tore zu den Depots rumänischer Dampfrößer. Und welcher Eisenbahnfreund nähme solch "unbedeutende Nebensächlichkeiten" nicht frohen Mutes und mit heller Begeisterung in Kauf, angesichts solch in Erfüllung gehender Träume. Dann standen sie da, die Stahlrößer, befreit von Arbeit, Müh und Plag in vielen Baureihen, Gattungen und Mustern und ließen sich ausgiebig mit Vorräten füttern. Im Lokdepot Craiova z.B. standen die Größten und die Kleinsten hintereinander auf einem Gleis und warteten geduldig auf ihre Bekohlung. Sie, die im Dienst Geschwärzten und voll Asche, Ruß und Schlacke, bedürfen die reinigenden Hände der emsig in Schichten rund um die Uhr hart arbeitenden Werkmänner. Die Lokmannschaften können sich bei der Dienstübernahme ihrer Maschine darauf verlassen, daß Wartung und Pflege stets Spitzenwerte erreichte. Bei der CFR standen diese Eigenschaften hoch im Kurs und dieses ist nicht verwunderlich bei dem im gesamten Bahndienst herrschenden sehr strengen Regim. So ist es auch begreiflich, daß man das peinlich befolgte Reinigungs- und Säuberungsritual an Lokomotiven in Bahnhöfen, oder außerhalb oder auch auf einsamer Warteposition verharrend, beobachten konnte. Trotzdem ist es immer wieder überraschend,auf welch große Zahl von blitzblanken Dampflokomotiven man hier in Rumänien stößt. Hierzu wieder ein kleines Erlebnis: Im langen fahrenden Schnellzug, vorbei am Lokdepot Lugoj ( 60 km östlich von Temeschburg/Timisoara ), standen 6 Exemplare der 142-er Reihe auf einem Sondergleis. Die den Seitengang unseres Wagens bevölkernden Soldaten entdeckten ebenfalls diese unvergleichliche Lokomotivparade, die die Spätnachmittagsonne in einen wahren Farbenzauber tauchte.
Dieses einmalige Bild entlockte den Kehlen der Uniformierten nationale Freudengesänge, die sinngemäß etwa so lauteten: "Sehet her ihr Kampfgenossen, da steht das Werk eurer Hände Kraft und Arbeit, es lebe das Volk der Werktätigen Rumäniens" . Wir nähern uns dem Ende dieser für uns so erlebnisreichen Fahrt, durch die wir Einblicke erhielten, die für manchen Zeitgenossen verschlossen bleiben. Wir erlebten und sammelten Eindrücke und Stimmungen manigfaltigster Art, die sich für uns hochinteressant und sehr informativ gestalteten. Sie vermittelten uns ein Stück aus dem betrieblichen Ablauf bei der CFR und darüber hinaus erlebten wir Rumänien wie es mit Freuden, Sorgen und Nöten lebt und lacht. Wir konnten auch stimmungsreichen Situationen über Gespräche beiwohnen, die angesichts des bei der CFR stark einsetzenden Strukturwandels von Dampf- zur Diesel- und Elektrokraft heftig im Gange waren. Bis zum Lokheizer herab wurde über dieses heiße Thema eifrig diskutiert. Wen wundert es da, wenn gerade die so beliebten und bewährten 230-er 331-er und 142-er Baureihen im Brennpunkt dieser Betrachtungen standen. Viele Standpunkte, bekannte und für uns auch weniger geläufige, wurden dabei ins Feld geführt und mit handfesten Argumenten untermauert und man glaube ja nicht, daß die Verteidiger der Dampfkraft sich so ohne weiters geschlagen gaben, sich keineswegs in die Ecke drängen ließen. Unterschwellig, aber bei Vertrauten, wurde offen auch von der Schönheit der Technik gesprochen. Damit stoßen wir auf ein Kapitel, das bei aller Realität und nüchternen Betrachtungsweise des allein Zweckmäßigen, nicht so ohne weiters vom Tisch gewischt werden kann. Spielen doch gerade auch die Grundzüge der Ästhetik bei der Konstruktion eine große Rolle und es lassen sich an ihnen oft direkte Beziehungen einer genialen Konstruktion verfolgen und ablesen.
Allein im Dampflokbau reicht die Skala von manch, "armselig-lächerlichen Mißgeburt" bis zur ausgereiften, vollendet- rassigen Schönheit. Der Schreiber dieser Zeilen bittet zum Abschluß um
Nachsicht,wenn er auf ganz und gar verlorenem Posten, doch noch eine Lanze für die geliebte Dampflok bricht. Er tut es mit gutem Gewissen und heiterem Sinn, da er sich ja in verständnisvoller
Gesellschaft weiss, gibt es doch mit ihm ein ganzes Heer, für die diese einmalige Schöpfung Herzenssache ist und die diese nicht von heute auf morgen vergessen können. Wie kann man z.B. die gewaltige
Wucht einer 142-er mit ihrem harmonischen Gesamtaufbau einfach nicht zur Kenntnis nehmen? Jeder Eisenbahnliebhaber der je neben dem riesigen kraftstrotzenden Triebwerk stand, wird unweigerlich ihrem
Bann unterliegen und kein Dampflokfreund wird sich der Faszination dieser einmaligen Maschine entziehen können. Es ist kein Wunder, wenn alle die, die der Dampflok verfallen sind, beim nennen der
inhaltsträchtigen Symbole 310, 214 oder 142 aufhorchen um sogleich ins Schwärmen zu geraten. Hocherhobenen Hauptes waren sie die stolzen Königinnen im west- europäischen, im österreichischen
Dampflokbau.
Die Eisenbahntournee 1968 war zu Ende. Sie erfolgte in der Zeit, als die Aufgabe des Dampflokbetriebes bereits in vollem Gange war. Z.B. war der größte Teil des Gesamtbestandes von den 79 Exemplaren
der BR.142 bereits kaltgestellt. Auf unseren Dampflokfahrten wurden insgesamt über 2000 km zurückgelegt.